15.12.2014 Zivilrecht

OGH: AUVB 2008 – Recht des Versicherers, die Leiche durch Ärzte obduzieren und nötigenfalls exhumieren zu lassen?

Die Klausel des Art 21.2.3 AUVB 2008 ist unklar iSd § 6 Abs 3 KSchG


Schlagworte: Versicherungsrecht, Konsumentenschutzrecht, Unfallversicherung, Obduktion
Gesetze:

Art 21 AUVB 2008, § 6 KSchG

GZ 7 Ob 113/14i, 10.09.2014

 

Art 21.2.3 AUVB 2008 lautet:

„2. Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles

Als Obliegenheiten, deren Verletzung unsere Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VersVG bewirkt, werden vereinbart:

...

2.3. Uns ist das Recht einzuräumen, die Leiche durch Ärzte obduzieren und nötigenfalls exhumieren zu lassen.“

 

OGH: Art 21.2.3. AUVB 2008 sieht bei kundenfeindlichster Auslegung vor, dass der Beklagten jedenfalls das Recht einzuräumen ist, die Leiche durch Ärzte zu obduzieren und „nötigenfalls“ exhumieren zu lassen. Damit ist diese Klausel jedenfalls unklar iSd § 6 Abs 3 KSchG. Weder wird festgelegt, durch wen und auf welche Weise das Recht zur Obduktion oder Exhumierung „eingeräumt“ werden soll, noch in welchen Fällen dies erforderlich sein soll.

 

Zunächst ist darauf zu verweisen, dass es im Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen nicht im Belieben des Unfallversicherers steht, aus der Verweigerung der Obduktion oder der Exhumierung seine Leistungsfreiheit herzuleiten. Er ist vielmehr nur dann auf eine Obduktion oder die Entnahme von Leichenblut angewiesen, wenn die begehrte Maßnahme zu einem entscheidungserheblichen Beweisergebnis führen kann und wenn mit ihr das letzte noch fehlende Glied eines vom Versicherer zu führenden Beweises geliefert werden soll. Da sowohl eine Obduktion als auch eine Exhumierung in das postmortale Persönlichkeitsrecht des Verstorbenen eingreifen, bedarf es von der Beklagten tragfähiger Gründe für die begehrten Maßnahmen. Eine Leichenöffnung oder Exhumierung „ins Blaue hinein“ ist jedenfalls unzulässig. Das kommt in der Klausel überhaupt nicht zum Ausdruck. Sie ist als absolute Verpflichtung formuliert und suggeriert, dass dem Versicherer jedenfalls das „Recht einzuräumen“ ist.

 

Unklar ist auch, wer als Adressat dieser Obliegenheit in Betracht kommt. Treffen könnte die Obliegenheit den Versicherungsnehmer selbst, der erst in zeitlichem Abstand zum (versicherten) Unfall stirbt, nach seinem Tod die Verlassenschaft oder die Erben, weiters die Begünstigten oder die Bezugsberechtigten. Erfüllen könnten diese Obliegenheit nach dem Ableben des Versicherungsnehmers nur die nahen oder nächsten Angehörigen. Diese müssen aber nicht die Anspruchsberechtigten der Versicherungsleistung sein. Abgesehen davon, dass auch unter nahen Angehörigen Uneinigkeit bestehen kann und daher die Zustimmung zur Obduktion oder Enterdigung nicht einvernehmlich erteilt wird, besteht für einen Anspruchsberechtigten, der nicht zugleich Angehöriger ist, rechtlich keine Möglichkeit, dass er der Beklagten die geforderte Zustimmung verschafft. Darauf wird er aber vom Versicherer nicht hingewiesen.

 

Ebenfalls nicht klar ist, wie und in welcher Form der Beklagten das Recht zur - privat veranlassten - Obduktion oder Exhumierung „eingeräumt“ werden soll. Das ist umso bedeutender, weil dazu zahlreiche unterschiedliche Rechtsvorschriften bestehen, die ein anspruchsberechtigter Verbraucher im Einzelnen nicht kennen kann. Da mit dem Verstoß gegen diese Obliegenheit die Leistungsfreiheit des Versicherers verbunden sein kann, wäre es erforderlich, dem Verbraucher aufzuzeigen, welche Handlungen der Versicherer von wem und in welchen Fällen erwartet.

 

Da Art 21.2.3. AUVB 2008 jedenfalls intransparent iSd § 6 Abs 3 KSchG ist, braucht nicht beurteilt werden, ob diese Klausel auch gegen § 879 Abs 3 ABGB verstößt.