17.11.2014 Zivilrecht

OGH: Zur Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes

Die Auffassung, wonach Gehälter von Berufsanfängern als Maßstab für die Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehen seien, wird vom OGH abgelehnt


Schlagworte: Familienrecht, Unterhalt, Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes, Lehrlingsentschädigung
Gesetze:

§ 231 ABGB, § 140 ABGB aF

GZ 4 Ob 109/14d, 17.07.2014

 

OGH: Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Solange das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung benötigt, ist es noch nicht selbsterhaltungsfähig. Wenn ein Kind nur so viel selbst verdient, dass es neben der Betreuung durch einen Elternteil nichts mehr benötigt, dann kommt es nicht zur vollen Befreiung des anderen Elternteils, muss doch hier ein Teil des Eigenverdienstes auch dem betreuenden Elternteil zugute kommen. Ob dieser Elternteil von seinem Kind tatsächlich einen finanziellen Beitrag für die Betreuung fordert, ist nicht entscheidend. Maßgeblich ist der standesgemäße Unterhalt, also die Fähigkeit des Berechtigten, die seinen Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse selbst zu befriedigen.

 

Das Kind soll auch während der Ausbildung am Lebensstandard seiner Eltern teilhaben, sind doch bei der Unterhaltsbemessung die Verhältnisse in einer intakten Familie maßgeblich. Der Ausgleichszulagenrichtsatz kann hier nur bei einfachen Verhältnissen als Maßstab dienen. Ob einfache Verhältnisse vorliegen ist danach zu beurteilen, ob der nach der Prozentmethode zu ermittelnde Betrag den Regelbedarf übersteigt.

 

Da der Regelbedarf eines Siebzehnjährigen 431 EUR im Monat beträgt (was weit unter 20 % des Einkommens des Vaters von 4.439 EUR liegt), sind die Vorinstanzen zutreffend von überdurchschnittlichen Einkommensverhältnissen und mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit des Minderjährigen ausgegangen, da er nicht jenen Verdienst erreicht, der ihm nach der Prozentmethode ohne eigenes Einkommen zustünde. Die von der Mutter erbrachten Natural- und Betreuungsleistungen sind bei der Beurteilung der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht zu Gunsten des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen, da die Lehrlingsentschädigung als Eigeneinkommen zwar den Unterhaltsanspruch des Kindes mindert; es dürfen jedoch weder die weiterlaufenden Unterhaltsleistungen des einen Elternteils in Gestalt der häuslichen Betreuung noch darf sonst eine Teilung der fixen Haushaltskosten vorausgesetzt werden, um sodann zugunsten des Geldunterhaltspflichtigen Selbsterhaltungsfähigkeit des Kindes anzunehmen.

 

Die vom Vater vertretene Auffassung, wonach Gehälter von Berufsanfängern als Maßstab für die Selbsterhaltungsfähigkeit heranzuziehen seien, wird vom OGH abgelehnt.

 

Eigenes Einkommen des Kindes verringert seinen konkreten Bedarf; es ist im Verhältnis von Betreuungsaufwand und Geldunterhaltsanspruch (Prozentmethode) auf betreuenden und geldalimentationspflichtigen Elternteil aufzuteilen. Der konkrete Geldunterhalt ist nach der Entscheidung 2 Ob 77/97f wie folgt zu berechnen: Kindeseinkommen x Geldunterhalt: (Geldunterhalt [Prozentmethode] + Differenz zwischen Mindestpension und Regelbedarf).