OGH: Zum Anspruch eines EU-Bürgers auf Ausgleichszulage
Solange eine Entscheidung über die Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich durch die zuständige Behörde nicht vorliegt, besteht ein Anspruch auf Ausgleichszulage
§ 292 ASVG, § 53 NAG, RL 2004/38/EG
GZ 10 ObS 152/13w, 17.12.2013
OGH: § 292 Abs 1 ASVG knüpft den Anspruch auf Ausgleichszulage an einen rechtmäßigen, gewöhnlichen Aufenthalt im Inland. Einer von der Verwaltungsbehörde nach § 53 NAG ausgestellte Anmeldebescheinigung kommt bloß deklaratorische Wirkung (Dokumentation des sich aus dem Unionsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrechts) und kein Bescheidcharakter zu; sie entfaltet keine die Gerichte bei der Prüfung des Erfordernisses des „rechtmäßigen Aufenthalts“ nach § 292 ASVG bindende Wirkung.
Art 24 der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach auch in der Zeit nach einem dreimonatigen Aufenthalt die Gewährung einer Leistung wie der Ausgleichszulage an einen wirtschaftlich nicht aktiven Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats unter allen Umständen und automatisch aufgrund der Tatsache ausgeschlossen ist, dass dieser, obwohl ihm eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde, die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt für mehr als drei Monate im Hoheitsgebiet des ersten Staats deshalb nicht erfüllt, weil dieses Aufenthaltsrecht davon abhängt, dass dieser Staatsangehörige über ausreichende Existenzmittel verfügt, um diese Leistung nicht beantragen zu müssen. Ein Mitgliedstaat kann jedoch der Ansicht sein, dass ein Unionsbürger, der Sozialhilfeleistungen in Anspruch nimmt, die Voraussetzungen seines Aufenthaltsrechts nicht mehr erfüllt, und er kann Maßnahmen in die Wege leiten, um den Aufenthaltstitel dieser Person zu widerrufen.
Der Umstand allein, dass ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats eine Sozialhilfeleistung bezieht, reicht aber nicht als Beleg dafür aus, dass er die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen in Anspruch nimmt und ihm deshalb der rechtmäßige Aufenthalt verwehrt werden kann. Art 8 Abs 4 der RL verlangt nämlich eine individuelle Beurteilung der persönlichen Situation des Unionsbürgers.
Ein Unionsbürger kann sich während seines rechtmäßigen Aufenthalts auf das Unionsrecht so lange berufen, bis der Aufnahmemitgliedstaat den rechtmäßigen Aufenthalt durch eine Entscheidung beendet, die die Verfahrensgarantien insbesondere gem Art 15, 30 und 31 der RL wahrt. Solange eine solche Entscheidung über die Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich durch die dafür zuständige Behörde nicht vorliegt, besteht auch der für den Anspruch auf Ausgleichszulage erforderliche rechtmäßige Aufenthalt.