11.08.2014 Zivilrecht

OGH: § 364 Abs 2 ABGB iZm Fichten

Das - ganzjährige - Abfallen von Nadeln erfordert eine regelmäßige Reinigung der davon betroffenen Grundstücke samt Gebäuden auch durch die Nachbarn; dies ist grundsätzlich hinzunehmen, sofern die Verunreinigung nicht ein besonderes, ortsunübliches Ausmaß erreicht


Schlagworte: Nachbarrecht, Abwehr unzulässiger Immissionen, Fichten, herabfallendes Laub und Nadeln, Ortsüblichkeit, Unterbestandnehmer
Gesetze:

§ 364 ABGB, § 372 ABGB

GZ 7 Ob 71/14p, 21.05.2014

 

OGH: Herabfallendes Laub und Nadeln sind keine grobkörnigen Immissionen, sodass sie nach § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilen sind. Danach besteht das Untersagungsrecht nur dann, wenn die auf den betroffenen Grund wirkenden Einflüsse einerseits das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Ausmaß übersteigen und zugleich die ortsübliche Benutzung dieser Liegenschaft wesentlich beeinträchtigen. Dabei sind die örtlichen Verhältnisse in beiden Belangen zu beachten. Der Maßstab der Wesentlichkeit der Einwirkung ist in erster Linie ein objektiver, der auf die Benützung der Nachbargrundstücke abgestellt und daher von der Natur und der Zweckbestimmung des beeinträchtigten Grundstücks abhängig ist. Maßgeblich ist demnach nicht das subjektive Empfinden des sich gestört fühlenden Nachbarn, sondern das eines Durchschnittsmenschen, der sich in der Lage des Gestörten befindet. Grundsätzlich müssen sich neu hinzukommende Nachbarn mit der im Gebiet vorherrschenden Immission abfinden. Die Ortsüblichkeit ist nach den tatsächlichen Verhältnissen in der maßgebenden Umgebung zu beurteilen. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass eine gelegentliche Reinigung der Dachrinne von Laub und Nadeln einem Nachbarn nach den örtlichen Verhältnissen jedenfalls zumutbar ist.

 

Dem Wortlaut nach gilt die Bestimmung des § 364 Abs 2 ABGB nur für den Eigentümer. Die Rsp dehnte den Anwendungsbereich auf sonstige dingliche Berechtigte und seit der Entscheidung des verstärkten Senats (7 Ob 654/89) auf den Bestandnehmer aus. Die Entscheidung erging in einem Rechtsstreit zwischen zwei Mietern, die ihre jeweiligen Bestandrechte vom selben Vermieter ableiteten, über das Begehren auf Unterlassung von störendem Klopfen an die Zwischendecke. Der OGH führte aus, dass der Schutz des Mieters allerdings nicht zur Beeinträchtigung gutgläubig erworbener Rechte Dritter führen könne. Wenn sich der Dritte auf ein ihm vom selben Vermieter eingeräumtes Recht besonderer Art berufe, so sei im Fall der Unterlassungsklage des Mieters das Recht des Dritten nicht das schwächere Recht (§ 374 ABGB). Der verstärkte Senat formulierte den folgenden Rechtssatz: „Gegen jede rechtswidrige Beeinträchtigung des Bestandrechts an einer unbeweglichen Sache durch Dritte steht dem Bestandnehmer eine Unterlassungsklage gegen den Störer zu. Diese Klage kann nicht zum Erfolg führen, wenn der gemeinsame Bestandgeber dem Dritten als Bestandnehmer ein Recht eingeräumt hat, dessen Ausübung zu der Störung führt, und der Dritte dieses Recht gutgläubig erworben hat.“

 

Die Frage, ob auch einem Unterpächter der petitorisch-publizianische Rechtsschutz iSd Entscheidung des verstärkten Senats (7 Ob 654/89) in Analogie zu § 372 ABGB zukommt, kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Auch wenn man dem Unterbestandnehmer grundsätzlich einen solchen Rechtsschutz zuerkennen würde, könnte sein Schutz nicht weitergehen als der des Hauptbestandnehmers.

 

Der Unterlassungsanspruch besteht daher im vorliegenden Fall nicht zu Recht. Generalpächter ist der Kleingartenverein. Die Klägerin als Subpächterin kann ihre Ansprüche nur vom Generalpächter ableiten. Dieser übergab nach den Feststellungen die Kleingartenparzelle im Jahr 1986 an den Beklagten als damaligen Pächter mit den darauf stehenden Fichten ohne Einschränkungen oder Auflagen. Der Beklagte musste sich bei der Übernahme nur verpflichten, die Pflanzung von Waldbäumen zu unterlassen, was bedeutet, dass er keine Neupflanzungen vornehmen darf. Der Bestand wurde nicht thematisiert. Dieses Verhalten des Generalpächters kann nur so verstanden werden, dass er dem Beklagten gestattete, die Fichten, von denen bereits damals zwei eine Höhe von 15 Metern erreichten, auf der Parzelle zu belassen. Der Generalpächter erklärte dem Beklagten gegenüber damit stillschweigend seine Zustimmung, dass die Fichten auf der Parzelle weiter wachsen dürfen. Da die Klägerin ihre Rechtsposition nur vom Generalpächter ableiten kann, kann sie nicht mehr Rechte geltend machen als dieser hat. Sie kann sich daher schon deshalb nicht darauf berufen, dass hohe Waldbäume in der Kleingartenanlage nicht gestattet und ortsunüblich seien.

 

Ob weiterhin von einer Zustimmung des Generalpächters zum derzeitigen Zustand auszugehen ist, kann aus nachfolgenden Gründen dahingestellt werden. Weiters ist zu bedenken, dass auf über 14 % der Parzellen Waldbäume stehen. Davon, dass das Wachsen von Waldbäumen in der Kleingartenanlage unüblich wäre, kann auch aus diesem Grund keine Rede sein. Ein entsprechendes Aufkommen an abfallenden Nadeln, die vom Wind verweht werden, ist mit dem - zulässigen - Fichtenbestand zwangsläufig verbunden und nicht schon an sich ortsunüblich. Das - ganzjährige - Abfallen von Nadeln erfordert eine regelmäßige Reinigung der davon betroffenen Grundstücke samt Gebäuden auch durch die Nachbarn. Dies ist grundsätzlich hinzunehmen, sofern die Verunreinigung nicht ein besonderes, ortsunübliches Ausmaß erreicht.

 

Die Klägerin brachte nicht einmal vor, inwiefern sich die von den Fichten ausgehenden Immissionen seit dem Jahr 1986, seit dem die Bäume nicht geschnitten wurden, verstärkt haben. Aus den Feststellungen des Erstgerichts (und den vorgelegten Fotografien) ist nicht zu erkennen, dass die zur Zeit von den Fichten des Beklagten ausgehenden Beeinträchtigungen über das ortsübliche und zumutbare Ausmaß hinausgingen.

 

Abgesehen davon ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin, die die Parzelle seit den 70er-Jahren kennt, ihren Unterpachtvertrag erst im Dezember 2003 abgeschlossen hat, also zu einem Zeitpunkt, in dem der Beklagte bereits rund 17 Jahre seine Parzelle benützte. Sie hat ihre Parzelle also in Kenntnis des Ausmaßes der Beeinträchtigungen durch die Umgebung gepachtet und muss diese grundsätzlich hinnehmen.

 

Die Feststellungen erlauben weder die Beurteilung, dass der Bestand an Nadelbäumen im Gebiet des Kleingartenvereins ortsunüblich ist, noch, dass derzeit die Beeinträchtigungen durch die abfallenden Nadeln der Fichten des Beklagen iSd § 384 Abs 2 ABGB beachtlich sind.