07.06.2014 Strafrecht

OGH: Zur Ablehnung von im Ermittlungsverfahren beigezogenen Sachverständigen

Wird bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Sta ein SV mit nicht weiter determinierten Erhebungen beauftragt, so hat das Gericht dem dadurch hervorgerufenen prozessualen Ungleichgewicht durch die Bestellung eines neuen SV für das Hauptverfahren entgegenzuwirken


Schlagworte: Ermittlungstätigkeit des Sachverständigen, Gutachtensauftrag, Ablehnung, Befangenheit
Gesetze:

§ 55 StPO § 126 Abs 4 StPO

GZ 12 Os 90/13x, 23.01.2014

 

OGH: Wenn ein SV bei einem sehr allgemeinen Anfangsverdacht von der Sta mit nicht weiter determinierten Erhebungen zu einer Straftat, insbesondere ohne Nennung eines konkreten Beweisthemas beauftragt wird und das vorhandene, nicht ohne weiteres aussagekräftige Beweismaterial aufarbeitet und auf ein strafrechtliches Verdachtssubstrat hin untersucht, dann mutiert er von einem unabhängig agierenden Experten, der bei bestehender konkreter Verdachtslage zu einem Problemfeld mit Fachwissen Stellung nehmen soll, zu einem verlängerten Arm der Ermittlungsbehörden und damit funktional zu einem Organ der Ermittlungsbehörde. Je unbestimmter daher der Anfangsverdacht, je unkonkreter der Auftrag der Sta an den beigezogenen SV, also je weniger der Beweiserhebungsauftrag den Kriterien des § 55 StPO entspricht, desto eher muss die darauf aufbauende Befundaufnahme inhaltlich als Ermittlungstätigkeit des beauftragten Gutachters gewertet werden.

Insoweit wäre der solcherart eingesetzte SV mit einem „Anzeigegutachter“ vergleichbar. Wer in derselben Strafsache als Kriminalbeamter tätig war, darf nicht später als Staatsanwalt agieren und umgekehrt. Wer daher inhaltlich als Ermittlungsorgan gewirkt hat, darf darauf folgend nicht als SV einschreiten; vielmehr wirkt eine solche funktional als Ermittlungsorgan erfolgte Vorbefassung als Befangenheitsgrund.

Auf dieser Basis besteht für das erkennende Gericht eine Pflicht, das im Ermittlungsverfahren durch einen von der Sta bestellten, nicht an die Grundsätze des § 55 StPO gebundenen, einen strafrechtlich relevanten Sachverhalt erst ermittelnden Experten hervorgerufene prozessuale Ungleichgewicht durch die Bestellung eines neuen SV für das Hauptverfahren auszutarieren und damit ein faires Verfahren zu sichern. Solcherart bestehen keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen § 126 Abs 4 letzter Satz StPO.

Aus der Rsp des EGMR ist nicht abzuleiten, dass eine im Ermittlungsstadium erfolgte Bestellung des SV durch die Sta - wie sie in anderen Mitgliedsländern der Konvention, etwa in der Bundesrepublik Deutschland seit langem möglich ist - und dessen nachfolgende abermalige, diesmal aber vom Gericht vorgenommene Bestellung im Hauptverfahren (in der BRD nach der dort hM zulässig) per se konventionswidrig wäre.