04.06.2014 Zivilrecht

OGH: Rechtsmissbräuchlicher Abruf einer abstrakten Bankgarantie

Ein Missbrauchsfall liegt nur dann vor, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist; hält sich der Begünstigte hingegen aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden


Schlagworte: Bankgarantie, Inanspruchnahme, Schutzwürdigkeit des Begünstigten, rechtsmissbräuchlicher Abruf
Gesetze:

§ 880a ABGB, § 1295 Abs 2 ABGB

GZ 10 Ob 14/14b, 25.03.2014

 

OGH: Bei einer abstrakten Bankgarantie ist der Garantievertrag vom Bestand der gesicherten Hauptschuld grundsätzlich unabhängig, also nicht akzessorisch. Die Bank kann keine Einwendungen und Einreden aus dem zwischen Auftraggeber und Begünstigten bestehenden Kausalverhältnis geltend machen. Es ist gerade Sinn einer solchen Garantie, dem Begünstigten eine sichere und durch Einwendungen nicht verzögerte Zahlung zu gewährleisten. Streitigkeiten sollen erst nach der Zahlung abgewickelt werden.

 

Die Schutzwürdigkeit des Begünstigten aus einer Bankgarantie ist aber dann nicht gegeben, wenn dieser eine Leistung in Anspruch nimmt, obwohl eindeutig feststeht, dass er keinen derartigen Anspruch gegen den Dritten hat und ihm die Inanspruchnahme des Garanten deshalb als Rechtsmissbrauch vorzuwerfen ist. Ist hingegen die Abberufung der Bankgarantie aufgrund einer vertretbaren Auslegung des im Valutaverhältnis abgeschlossenen Vertrags erfolgt, liegt kein Rechtsmissbrauch vor.

 

Für den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs kommt es auf den Wissensstand bzw die Beweislage im Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Garantie an. Ein Missbrauchsfall liegt nur dann vor, wenn das Nichtbestehen des Anspruchs des Begünstigten im Valutaverhältnis zur Zeit der Inanspruchnahme der Garantie evident erwiesen ist. Hält sich der Begünstigte hingegen aus vertretbaren Gründen für berechtigt, kann ihm kein arglistiges oder rechtsmissbräuchliches Verhalten vorgeworfen werden.

 

Ob die für die Annahme von Rechtsmissbrauch geforderten Voraussetzungen vorliegen oder nicht, ist eine Frage des Einzelfalls.

 

Es steht fest, dass der Geschäftsführer der beklagten Partei die Zahlungsgarantie im Bewusstsein abrief, dass die Forderung von 50.000 EUR noch nicht fällig war und innerhalb der laufenden Garantiefrist nicht mehr fällig werden würde. Ähnlich wie in dem der Entscheidung 6 Ob 293/97z zu Grunde liegenden Sachverhalt bestand er auf Auszahlung der Garantieleistung vor Fälligkeit deshalb, weil er nach Ablauf der Garantiefrist die Einbringlichkeit der Forderung für zweifelhaft erachtete. Damit ist offengelegt, dass die beklagte Partei keinen Anspruch hatte und ihr Geschäftsführer dennoch die Bankgarantie in Kenntnis der mangelnden Berechtigung abrief, um deren Sicherungsfunktion über den Ablauf der Garantiefrist hinaus aufrechtzuerhalten und weiterhin eine durch Einwendungen nicht in Frage gestellte Zahlung gewährleistet zu haben. Der Fall eines Abrufs der Garantie vor Fälligkeit bei Vorliegen einer vertretbaren Rechtsansicht über die Berechtigung (siehe 8 Ob 645/91) ist somit nicht gegeben. Die Rechtsansicht, der beklagten Partei sei anzulasten, sie habe im Bewusstsein mangelnder Fälligkeit die Garantie vor Eintritt der Fälligkeit für vertragsfremde Zwecke nützen wollen, stellt deshalb keine Fehlbeurteilung dar, die einer Korrektur durch den OGH bedürfte. Gelangten die Vorinstanzen in vertretbarer Weise zu der Annahme, das (evident) vertragswidrige Verhalten der beklagten Partei sei rechtsmissbräuchlich, bedurfte es keiner weiteren Abwägung zu dem Missverhältnis der dabei von der beklagten Partei verfolgten Interessen und den Interessen der Kläger.

 

Auch die Rechtsansicht der Vorinstanzen, auf Grundlage der getroffenen Feststellungen liege keine in der Praxis als „extend oder pay“ genannte Form des Abrufs einer Garantie vor, steht im Einklang mit der dazu vorhandenen Rsp. Diese Form des Abrufs ist dann gegeben, wenn eine Garantie „unmissverständlich interessenwahrend“ in Anspruch genommen wird und der Begünstigte darum ersucht, bis zur Klärung, ob die Garantiefrist verlängert wird, die Garantiesumme noch nicht zu leisten. Sollte der Garant dann nicht bereit sein, die Laufzeit der Garantie zu verlängern, ist davon auszugehen, dass der Begünstigte vor Fristablauf die Zahlung der Garantiesumme verlangt hat. Mit ihren Ausführungen, die Sachverhalte, die den zu dieser Rechtsfigur ergangenen Entscheidungen zu Grunde gelegen seien, wären dem vorliegenden Sachverhalt „im Wesentlichen sehr ähnlich“, weil es ebenfalls darum ginge, dass dem Begünstigten die Sicherheit weggefallen wäre, wenn ein Abruf nicht erfolgt, zeigt die Revisionswerberin keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.