OGH: Analoge Anwendung des § 15 KSchG (hier: iZm Fitnessstudioverträgen)?
An der von der Judikatur abgelehnten analogen Anwendung des § 15 KSchG und der Beschränkung auf die im Gesetz angeführten Dauerschuldverhältnisse ist festzuhalten, weil der Gesetzgeber mit § 6 Abs 1 Z 1 KSchG ohnehin für solche Verträge, die nicht ausdrücklich von § 15 KSchG erfasst sind, eine Schutzbestimmung gegen unangemessen lange vertragliche Bindungsfristen unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Parteien eines Verbrauchervertrags zur Verfügung stellt; die Wertungen des § 15 KSchG haben auch nicht in die Beurteilung von Dauerschuldverhältissen nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG einzufließen, weil die Übernahme von Wertungen einer gesetzlichen Bestimmung auf Sachverhalte, die nach dem klaren Gesetzeswortlaut davon ausgenommen sind, im Ergebnis einer Analogie nahe kommt; die Angemessenheit der Frist richtet sich nach der Art des Geschäfts und den von redlichen Vertragsparteien üblicherweise vereinbarten Fristen; trifft ein Unternehmer eine Investitionsentscheidung, die beträchtliches Kapital über einen langen Zeitraum bindet und häufig die Verwendung von Fremdmitteln einschließt, so übernimmt er als Initiator und Investor gewöhnlich ein hohes wirtschaftliches Risiko; das erfordert längere Bindungsfristen seiner Vertragspartner innerhalb des Leistungssynallagmas, weil die Investitionsentscheidung erst dann in ihren vorhersehbaren Auswirkungen zur Beschränkung des kaufmännischen Risikos kalkulierbar wird; die Vereinbarung, dass das Vertragsverhältnis nach Ablauf des ersten Jahres halbjährlich unter Einhaltung einer zweimonatigen Kündigungsfrist aufgelöst werden kann, ist in Anbetracht der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Fitnessstudiovertrags nicht unangemessen
§ 28 KSchG, § 15 KSchG, § 6 KSchG, § 879 ABGB
GZ 5 Ob 205/13b, 13.03.2014
Bis zum 15. 6. 2012 enthielten die Fitnessstudioverträge „Lifestyle Ladies“ folgende Klausel:
„3. Vertragsdauer und Kündigung: Der Vertrag wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen. Eine Kündigung ist erstmals zum Ablauf eines Jahres, danach jeweils zum Ablauf eines halben Jahres möglich. Die Kündigung hat schriftlich (Kündigung per Fax oder E-Mail ist nicht möglich!) unter Einhaltung einer 2 monatigen Kündigungsfrist zu erfolgen […].“
Die Klägerin wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die dem § 15 KSchG zugrundeliegenden Wertungen seien im vorliegenden Fall auch für die Beurteilung der zulässigen Höchstbindungsdauer gem § 6 Abs 1 Z 1 zweiter Fall KSchG heranzuziehen, und macht dazu geltend, vorformulierte Klauseln, wie die gegenständliche, würden auch der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB unterliegen, bei der auch die „verdünnte Willensfreiheit“ des Vertragspartners zu berücksichtigen sei. Selbst wenn eine solche Klausel als individuelle Vereinbarung zulässig sein sollte, bewirke sie eine gröbliche Benachteiligung und sei daher nach § 879 Abs 3 ABGB unzulässig. Heranzuziehen seien die Wertungen des § 560 ZPO. Davon weiche die Klausel zum Nachteil der Verbraucher ab.
OGH: § 15 Abs 1 KSchG regelt, dass Verträge, durch die sich Unternehmer zur wiederholten Leistung beweglicher körperlicher Sachen einschließlich Energie oder zu wiederholten Werkleistungen (etwa Wartungsverträge, Serviceverträge oder Entsorgungsverträge), und der Verbraucher zu wiederholten Geldleistungen verpflichtet und die für eine unbestimmte oder ein Jahr übersteigende Zeit geschlossen worden sind, vom Verbraucher unter Einhaltung einer zweimonatigen Frist zum Ablauf des ersten Jahres, danach zum Ablauf jeweils eines halben Jahres, gekündigt werden können. Dabei handelt es sich um eine Schutzbestimmung, die den Verbraucher vor schwer auflösbaren überlangen Vertragsbindungen schützen soll. Diese Bestimmung trägt aber auch dem Bedürfnis des Unternehmers nach einer länger bindenden Wirkung des Vertrags als Grundlage für seine langfristigen Unternehmensplanungen Rechnung.
Für den Anwendungsbereich des § 15 Abs 1 KSchG ist entscheidend, ob der Vertrag als Werkvertrag iSd gesetzlichen Vertragstyps (§§ 1151 Abs 1, 1165 ABGB) anzusehen wäre, jedenfalls aber als Mischvertrag (etwa mit miet-, dienstvertrags- oder werkvertragsrechtlichen Elementen) zu beurteilen wäre, bei dem das werkvertragliche Element nicht bloß eine untergeordnete Rolle spielt. Nach den Feststellungen ist der wesentliche Inhalt des Vertrags zunächst auf die Zurverfügungstellung von Power-Plate-Geräten gerichtet, die von den Kundinnen der Beklagten nur unter Anleitung von Trainern benützt werden dürfen. Dazu ist es erforderlich, dass diese vorweg Trainingstermine vereinbaren, wobei der Vertrag die Teilnahme an zwei Einheiten pro Woche inkludiert. Der Vertrag enthält daher mietrechtliche Merkmale, zu denen durch die Inanspruchnahme von begleiteten Trainingseinheiten dienstvertragliche Elemente hinzutreten. Die Beklagte schuldet aber keinen bestimmten Erfolg, weswegen (allfällige) werkvertragliche Elemente jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle spielen. Zutreffend ist das Berufungsgericht daher zum Ergebnis gelangt, dass § 15 KSchG auf den hier zu beurteilenden Trainingsvertrag nicht zur Anwendung gelangt.
Dass § 15 KSchG ausdrücklich nur auf Verträge, denen die wiederholte Lieferung beweglicher körperlicher Sachen einschließlich Energie oder wiederholte Werkleistungen zugrunde liegen, abstellt, wird in der Literatur verschiedentlich als „zu eng“ empfunden. So vertritt Krejci, die Auffassung, dass ein Abstellen des § 15 Abs 1 KSchG auf wiederholte Werkleistungen „etwas eng“ sei und dass auch Verträge über wiederholte Dienstleistungen eines Unternehmers „in den gegebenen Zusammenhang passen“ würden, und appelliert damit erkennbar für einen erweiterten Anwendungsbereich des § 15 Abs 1 KSchG. Apathy erwägt für Verträge mit stark mietrechtlicher Komponente die analoge Anwendung des § 15 KSchG. Mayrhofer will Verträge, die ihrer Hauptleistung nach nicht als Werk-, sondern als „freie Dienstverträge“ zu beurteilen sind, wenn im Einzelfall die Sach- oder Werkleistung nicht bloß untergeordnet ist, dem § 15 KSchG unterstellen.
Die Judikatur hat eine analoge Anwendung des § 15 KSchG abgelehnt (für den Mobilfunkvertrag als Mischvertrag mit dienst- und mietvertraglichen Elementen: 6 Ob 69/05y) und beschränkt den Anwendungsbereich des § 15 KSchG ausdrücklich auf die im Gesetz angeführten Dauerschuldverhältnisse. Daran ist festzuhalten, weil der Gesetzgeber mit § 6 Abs 1 Z 1 KSchG ohnehin für solche Verträge, die nicht ausdrücklich von § 15 KSchG erfasst sind, eine Schutzbestimmung gegen unangemessen lange vertragliche Bindungsfristen unter angemessener Berücksichtigung der Interessen der Parteien eines Verbrauchervertrags zur Verfügung stellt. Ein Analogieschluss setzt aber das Vorhandensein einer Gesetzeslücke, dh einer „planwidrigen“, nicht gewollten Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke ist nur dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist.
Das Berufungsgericht hat bei der Beurteilung, ob eine unangemessene Vertragsbindung vorliegt, auf Wertungen des § 15 Abs 1 KSchG zurückgegriffen und sich dazu auf die Entscheidung 9 Ob 69/11d berufen. In dieser Entscheidung wurde zwar festgehalten, dass der Argumentation der dortigen Klägerin, auch wenn § 15 KSchG auf den in concreto beurteilten Fitnessstudiovertrag nicht anzuwenden sei, könnten die Wertungen des § 15 KSchG für die Beurteilung der zulässigen Höchstbindungsdauer nach § 6 Abs 1 Z 1 zweiter Fall KSchG herangezogen werden, eine „gewisse Berechtigung“ nicht aberkannt werden könne. Eine abschließende Beurteilung dieser Frage unterblieb in dieser Entscheidung jedoch ausdrücklich. In der Literatur vertritt Kolba die Meinung, dass die Ähnlichkeit von Mischverträgen sui generis, die dienst- und mietvertragliche Elemente aufweisen, mit den von § 15 Abs 1 KSchG erfassten Energiebezugsverträgen bzw Abonnementverträgen bei der Prüfung unangemessen langer Vertragsbindungen gem § 6 Abs 1 Z 1 KSchG zu berücksichtigen sei, und tritt damit erkennbar ebenfalls dafür ein, die Wertungen des § 15 KSchG in die Beurteilung von Dauerschuldverhältissen nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG einfließen zu lassen. Dieser Auffassung ist schon deshalb nicht beizutreten, weil die Übernahme von Wertungen einer gesetzlichen Bestimmung auf Sachverhalte, die nach dem klaren Gesetzeswortlaut davon ausgenommen sind, im Ergebnis einer Analogie nahe kommt. Das gilt jedoch nicht nur, wie die Klägerin in ihrem Rechtsmittel aufzeigt, im Verhältnis zu § 879 Abs 3 ABGB.
Nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG Variante 2 sind für den Verbraucher Vertragsbestimmungen iSd § 879 ABGB jedenfalls nicht verbindlich, nach denen er während einer unangemessen langen Frist an den Vertrag gebunden ist. Diese Norm bietet daher auch für Dauerschuldverhältnisse einen im Einzelfall anhand einer Interessenabwägung auszufüllenden Orientierungsrahmen. Bei der Prüfung, ob eine unangemessen lange Vertragsbindung gem § 6 Abs 1 Z 1 KSchG Variante 2 bzw gem § 879 Abs 3 ABGB vorliegt, ist eine Gesamtwertung aller einschlägigen Vertragsumstände vorzunehmen. Anders als die Regelung des § 15 KSchG geht die Bestimmung des § 6 Abs 1 Z 1 leg cit aus der allgemeinen Norm des § 879 ABGB hervor, wo der Gesetzgeber verpönte Vertragsklauseln mit einem Unwertgehalt verbindet und eine verstärkte Berücksichtigung der individuellen Umstände des jeweiligen Vertragsverhältnisses ermöglicht. Klauseln, die danach verpönt sind, sind selbst dann unwirksam, wenn sie nicht in AGB enthalten sind. Demgegenüber sind Verträge, die unter § 15 Abs 1 KSchG fallen, nicht schon allein deshalb sittenwidrig, weil sie für eine längere als eine einjährige Dauer oder für unbestimmte Zeit abgeschlossen werden. Beide Bestimmungen verfolgen ähnliche Ziele, indem sie den Verbraucher vor überlanger Vertragsbindung schützen wollen. Eine Vertragsklausel, die eine unangemessen lange Bindung eines Verbrauchers an einen Vertrag bewirkt, ist dabei schon nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG unwirksam. Für die in § 15 Abs 1 KSchG bezeichneten Dauerschuldverhältnisse hat der Gesetzgeber aber den besonderen Bedürfnissen, die mit der Erfüllung der Verpflichtungen aus einem solchen Vertragsverhältnis für den Unternehmer verbunden sind, Rechnung getragen, indem er dem Verbraucher ein erstmaliges Kündigungsrecht zum Ablauf des ersten Jahres einräumt, ohne dass es bei der sich daraus ergebenden Bindungsfrist auf die individuellen Umstände des Vertrags, insbesondere dessen Bedeutung oder die wirtschaftliche Belastung für den Verbraucher ankäme. Dem Gesetzgeber kann in diesem Zusammenhang nicht unterstellt werden, er wollte Verbraucher auch im Rahmen anderer als den ausdrücklich in § 15 Abs 1 KSchG bezeichneten Vertragsverhältnissen einer solchen Einschränkung unterworfen wissen. Damit würde es aber dem Zweck des Verbraucherschutzes widersprechen, jene Wertungen, die den Gesetzgeber dazu bewogen haben, für bestimmte Vertragstypen ein erstmaliges Kündigungsrecht zum Ablauf des ersten Jahres einzuführen, auch auf solche Dauerschuldverhältnisse, die nicht dem § 15 KSchG zu unterstellen sind, heranzuziehen. Die Interessen des Unternehmers auf Durchführung des Vertrags gegen die Interessen des Verbrauchers auf angemessene und feststellbare Erfüllungszeit sind daher entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nach § 6 Abs 1 Z 1 KSchG abzuwägen, ohne dass auf Wertungen des § 15 KSchG zurückzugreifen wäre.
Die Angemessenheit der Frist richtet sich nach der Art des Geschäfts und den von redlichen Vertragsparteien üblicherweise vereinbarten Fristen. Die sachliche Rechtfertigung einer längeren Bindung des Verbrauchers an den Vertrag kann sich etwa aus dem Interesse des Unternehmers ergeben, aufgrund des Umfangs seiner Investitionen und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Risiko, für länger klare Verhältnisse zu schaffen. Trifft daher ein Unternehmer eine Investitionsentscheidung, die beträchtliches Kapital über einen langen Zeitraum bindet und häufig die Verwendung von Fremdmitteln einschließt, so übernimmt er als Initiator und Investor gewöhnlich ein hohes wirtschaftliches Risiko. Das erfordert längere Bindungsfristen seiner Vertragspartner innerhalb des Leistungssynallagmas, weil die Investitionsentscheidung erst dann in ihren vorhersehbaren Auswirkungen zur Beschränkung des kaufmännischen Risikos kalkulierbar wird. Diese Erwägungen sind nicht nur für Immobilien in Teilzeitnutzung von Bedeutung, sondern sie verdeutlichen ganz allgemein, dass Unternehmer, die bei der Finanzierung vertraglicher Leistungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses ein hohes wirtschaftliches Risiko eingehen, ihre Vertragspartner längere Zeit binden müssen, um ihr kaufmännisches Risiko durch eine sachgerechte Kalkulation beschränken zu können.
Die von der Beklagten mit ihren Kundinnen abgeschlossenen Fitnessstudioverträge weisen die Besonderheit auf, dass die Trainingseinheiten nur unter Aufsicht eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten Trainers absolviert werden dürfen. Zur Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen stellt die Beklagte nicht nur das entsprechende Trainingsgerät zur Verfügung, sondern hat auch laufend eine entsprechende Personalvorsorge zu treffen, um die erforderlichen Trainereinheiten bereitstellen zu können. Bereits die besondere Ausprägung der Dienstleistungskomponente in den hier zu beurteilenden Dauerschuldverhältnissen entzieht der Argumentation der Klägerin, soweit sie die Fristen des § 560 ZPO angewendet wissen will, die Grundlage. Auch ist ein (befristeter) Ausschluss des (ordentlichen) Kündigungsrechts bei einem auf unbestimmte Zeit eingegangenen Fitnessstudiovertrag keineswegs ungewöhnlich, wie die Klägerin meint. Sie bewirkt die Bindung von Kundinnen der Beklagten für die Dauer von einem Jahr. Eine solche Bindung ist in Anbetracht des mit der Finanzierung der vertraglich geschuldeten Leistungen, insbesondere der mit der notwendigen Personalvorsorge verbundenen Kosten, einhergehenden wirtschaftlichen Risikos auch sachlich gerechtfertigt. Die Vereinbarung, dass das Vertragsverhältnis nach Ablauf des ersten Jahres halbjährlich unter Einhaltung einer zweimonatigen Kündigungsfrist aufgelöst werden kann, ist in Anbetracht der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Fitnessstudiovertrags ebenfalls nicht unangemessen.
Die Klausel 3 stellt damit keine unzulässige Benachteiligung der Kundinnen der Beklagten durch eine unangemessen lange Vertragsbindung dar und hält einer Inhaltskontrolle nach § 6 Abs 1 KSchG stand.