21.04.2014 Zivilrecht

OGH: § 6 Abs 3 VersVG – auf dolus coloratus beruhende Obliegenheitsverletzung

Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren („dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt; nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet


Schlagworte: Versicherungsrecht, Obliegenheitsverletzung, dolus coloratus
Gesetze:

§ 6 VersVG

GZ 7 Ob 12/14m, 26.02.2014

 

OGH: Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall dienen dem Zweck, den Versicherer vor vermeidbaren Beweisbelastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen. Die Drohung mit dem Anspruchsverlust soll den Versicherungsnehmer motivieren, die Verhaltensregeln ordnungsgemäß zu erfüllen; ihr kommt eine generalpräventive Funktion zu. Den Versicherer trifft die Beweislast für das Vorliegen des objektiven Tatbestands einer Obliegenheitsverletzung. Im Fall eines solchen Nachweises ist es dann Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelastete Obliegenheitsverletzung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat. Eine leichte Fahrlässigkeit bleibt demnach ohne Sanktion. Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 3 VersVG auch bei „schlicht“ vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen. Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat. Nur wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheit mit dem Vorsatz verletzt, die Beweislage nach dem Versicherungsfall zu Lasten des Versicherers zu manipulieren (sog „dolus coloratus“), ist der Kausalitätsgegenbeweis ausgeschlossen und der Anspruch verwirkt. Nicht erforderlich ist, dass der Versicherungsnehmer geradezu und ausschließlich mit dem Ziel handelt, den Versicherer zu täuschen (Betrugsabsicht); es genügt, wenn er erkennt, dass die von ihm dargelegten oder unvollständig angegebenen Umstände, die für die Beurteilung der Leistungspflicht des Versicherers maßgeblich sind, letzteren beeinträchtigen oder fehlleiten können und er sich damit abfindet. Täuschung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Vermögensvorteil anstrebt, aber auch, wenn er durch die Angaben unrichtiger Tatsachen einen für berechtigt gehaltenen Anspruch durchsetzen oder einfach „Schwierigkeiten“ bei der Schadensfeststellung verhindern will.

 

Hat der Versicherer den Schaden liquidiert, obwohl Leistungsfreiheit gegeben ist, so kann die Leistung unter den Voraussetzungen des § 1431 ABGB zurückverlangt werden.

 

Bereits vor dem Hintergrund der bestehenden Judikatur erweist sich die Rechtsansicht der Vorinstanzen, den Beklagten sei eine auf dolus coloratus beruhende Obliegenheitsverletzung vorzuwerfen, der Kausalitätsgegenbeweis daher unzulässig und die Klägerin nach § 1431 ABGB zur Rückforderung der trotz Leistungsfreiheit erfolgten Zahlung berechtigt, als zutreffend.

 

Nach der Bedingungslage erwirbt der Versicherungsnehmer Anspruch auf Ersatz des den Zeitwertschaden übersteigenden Schadens erst, wenn gesichert ist, dass die Entschädigung zur Gänze zur Wiederherstellung bzw Wiederbeschaffung verwendet wird.

 

Nachdem der Sachverständige der Klägerin den durch Hagelschlag verursachten Neuwertschaden iHv 23.700 EUR festgestellt hatte und die Klägerin die Beklagten zur Vorlage einer entsprechenden Reparaturrechnung aufgefordert hatte, legten die Beklagten eine - fingierte - Eigenrechnung über den Betrag von 23.700 EUR vor, um die Auszahlung des Neuwertschadens vor Sicherstellung der Wiederherstellung zu erreichen.

 

Damit haben die Beklagten die ihnen auferlegte Obliegenheit, im Zuge der Schadensabwicklung alle schriftlichen und mündlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen, mit Täuschungsabsicht verletzt, um die Auszahlung des Neuwertschadens zu einem Zeitpunkt zu erreichen, zu dem sie über keinen Anspruch auf Ersatz eines über den Zeitwertschaden hinausgehenden Betrags verfügten. Die auf dolus coloratus beruhende Obliegenheitsverletzung hatte damit - unabhängig von der davor erfolgten Schadensfeststellung - unmittelbar Einfluss auf den Umfang der Leistungspflicht der Klägerin.