OGH: Überwiegendes Verschulden an der Zerrüttung der Ehe
Der Ehegatte, der die Ehewohnung verlässt, hat zu behaupten und zu beweisen, dass die Aufgabe der Lebensgemeinschaft zu Recht erfolgte; die bloß subjektive Einschätzung und auch der bloße Umstand, dass die Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft als unangenehm empfunden wurde, sind zur Rechtfertigung nicht ausreichend
§ 49 EheG, § 60 EheG, § 61 EheG, § 92 ABGB, § 90 ABGB
GZ 8 Ob 122/13v, 17.12.2013
OGH: Der Kläger erkennt selbst, dass die Beurteilung, welchem Ehepartner Eheverfehlungen zur Last fallen und welchen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trifft, eine Frage des konkreten Einzelfalls ist.
Nach stRsp sind bei der Beurteilung des überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten alle Umstände zu berücksichtigen und in ihrer Gesamtheit gegenüberzustellen. Dabei müssen die Eheverfehlungen in ihrem Zusammenhang gesehen werden, wobei berücksichtigt werden muss, inwieweit diese einander bedingt haben bzw ursächlich für das Scheitern der Ehe waren. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten hat nur dort zu erfolgen, wo der graduelle Unterschied der beidseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt. Dazu reicht es aber auch, wenn den anderen Ehegatten ein wesentlich geringgradigeres Zerrüttungsverschulden trifft. Für diese Beurteilung ist nicht nur zu berücksichtigen, wer mit dem Fehlverhalten begonnen hat, sondern auch wer entscheidend dazu beigetragen hat, dass die Ehe unheilbar zerrüttet wurde.
Ausgehend von diesen vom Berufungsgericht beachteten Grundsätzen kann die hier unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls erfolgte Annahme des Berufungsgerichts, dass dem Kläger das überwiegende Zerrüttungsverschulden anzulasten ist, nicht als unvertretbar angesehen werden.
Der Kläger hat den ganz wesentlichen, die Beklagte schwer belastetenden einseitigen Schritt gesetzt, die gemeinsame Ehewohnung zu verlassen. Er hätte daher auch zu behaupten und zu beweisen gehabt, dass diese Aufgabe der Lebensgemeinschaft zu Recht erfolgte. Die bloß subjektive Einschätzung und auch der bloße Umstand, dass die Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft als unangenehm empfunden wurde, sind zur Rechtfertigung nicht ausreichend. Außer dem subjektiven Empfinden des Klägers konnte aber nur die für beide Ehegatten geltende Überforderung mit der Erziehung des gemeinsamen Kindes festgestellt werden. Diese Überforderung hätte aber nach der nicht unvertretbaren Einschätzung des Berufungsgerichts auch durch andere Maßnahmen bewältigt werden können.
Das ehewidrige Verhalten der Beklagten beschränkte sich im Wesentlichen auf eine Ohrfeige in einem viel früheren Stadium der Ehe und unangemessene Verhaltensweisen iZm der Überforderung bei der Erziehung des gemeinsamen Kindes (heftige und unsachliche Schuldzuweisungen, weil sich die Beklagte bei der Erziehung vom Beklagten im Stich gelassen fühlte).
Dass das Berufungsgericht die vom Kläger einseitig vorgenommene Auflösung der ehelichen Wohngemeinschaft und dessen Beschimpfungen und Beleidigungen der Beklagten sowie die zwar verfristete, aber bei der Gesamtbetrachtung nicht unbeachtliche frühere ehewidrige Beziehung des Klägers als so wesentlichen Beitrag zur Zerrüttung gewertet hat, dass das geringfügige Zerrüttungsverschulden der Beklagten dagegen zurücktritt, kann nicht als unvertretbar eingestuft werden.