05.02.2014 Baurecht

VwGH: Zur Präklusion iSd § 9 UVP-G 2000 iVm §§ 44a u 44b AVG und zur Frage, ob die Präklusion im Rahmen des UVP-Genehmigungsverfahrens unionsrechtlichen Anforderungen entspricht

Für den Eintritt der Präklusion müssen im Großverfahren die Voraussetzungen der § 9 UVPG 2000 iVm §§ 44a und 44b AVG erfüllt sein; die Präklusionsbestimmungen iSd § 44a iVm § 44b Abs 1 AVG entspricht im Rahmen des UVP-Genehmigungsverfahrens unionsrechtlichen Anforderungen; werden die Bestimmungen des § 9 Abs 3 UVP-G 2000 iVm § 44a Abs 2 AVG durch das Edikt eingehalten, so geht mangels Erhebung von Einwendungen innerhalb der Auflagefrist die Parteistellung gem § 44b Abs 1 AVG verloren


Schlagworte: Umweltverträglichkeitsprüfung, Naturschutz, Umweltschutz, Fristen, Mängelbehebung, Präklusion, Großverfahren, UVP-Genehmigungsverfahren, Kundmachung, Edikt, Amtsblatt Wiener Zeitung, Umweltverträglichkeitserklärung, Parteistellung, Beteiligtenstellung, Bürgerinitiative, Materiell rechtliche Frist,“ Quasi-Wiedereinsetzung" in den vorigen Stand
Gesetze:

§ 32 AVG, § 41 AVG, § 42 Abs3 AVG, § 44a Abs2 Z2 AVG, § 44a Abs 2 AVG, § 44a Abs3 AVG, § 44a AVG, § 44b Abs1 AVG, § 44b AVG, § 7 Abs1 Z3 AVG, § 71 AVG, § 9 UVPG 2000, § 9 Abs1 UVPG 2000, § 9 Abs 3 UVPG 2000, § 9 Abs 3 Z 2 UVP-G 2000, § 4 UVP-G 2000, § 39 Abs 1 UVP-G, § 19 Abs4 UVPG 2000, Art 10a UVP-RL

GZ 2010/05/0202, 27.09.2013

VwGH: Hinsichtlich der Form der Kundmachung sieht § 9 Abs 3 UVP-G 2000 iVm § 44a Abs 3 AVG für Großverfahren (als Voraussetzung für den Eintritt der Rechtsfolgen nach § 44b Abs 1 AVG) vor, dass das Edikt im redaktionellen Teil zweier im Bundesland weit verbreiteter Tageszeitungen und im "Amtsblatt zur Wiener Zeitung" zu verlautbaren ist. Mit der Anforderung, dass die Zeitungen im Bundesland "weitverbreitet" sein müssen, stellt das Gesetz auf die Anzahl der Leser ab, wobei es sich nicht um die Zeitungen mit der höchsten Auflagezahl handeln muss. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass mit den beiden Zeitungen ein breites Leserspektrum im Hinblick auf die potentiell Betroffenen erreicht wird.

 

§ 6 Abs 1 Z 1 UVP-G 2000 (Umweltverträglichkeitserklärung) ist nicht zur Interpretation von § 9 Abs 3 Z 1 UVP-G 2000 heranzuziehen. Die in § 6 UVP-G 2000 normierte, vom Projektwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht beizubringende Umweltverträglichkeitserklärung (kurz: UVE) ist neben dem Umweltverträglichkeitsgutachten eine der beiden zentralen Säulen der UVP. Diese - auf entsprechendem fachlichen Niveau abzugebende - Erklärung verfolgt mit ihren (viel umfangreicheren) Angaben einen anderen Zweck als das in § 9 Abs 3 UVP-G 2000 iVm § 44a Abs 3 AVG normierte Edikt, was sich allein schon in der detaillierten Auflistung (§ 6 Abs 1 Z 1 lit a bis f UVP-G 2000) des in Bezug auf die "Beschreibung des Vorhabens nach Standort, Art und Umfang" verlangten Inhalts der Erklärung widerspiegelt. Eine solche Auflistung ist dem Wortlaut der § 9 Abs 3 UVP-G 2000 iVm § 44a Abs 3 AVG jedenfalls nicht zu entnehmen. Überdies stützt der Umstand, dass gem § 9 Abs 1 UVP-G 2000 die UVE bei der Behörde aufzulegen, und gem § 9 Abs 4 UVP-G 2000 eine Zusammenfassung der UVE zusätzlich zur Kundmachung durch Edikt im Internet anzuschließen ist, sohin die UVE mit ihrer Beschreibung des Vorhabens nicht selbst durch Edikt kundzumachen ist, diese Auslegung .

 

Werden die Bestimmungen des § 9 Abs 3 UVP-G 2000 iVm § 44a Abs 2 AVG durch das in Rede stehende Edikt eingehalten, so geht mangels Erhebung von Einwendungen innerhalb der Auflagefrist die Parteistellung gem § 44b Abs 1 AVG verloren.

 

Eine Bürgerinitiative erlangt Partei- bzw Beteiligtenstellung in UVP-Genehmigungsverfahren, wenn während der öffentlichen Auflage eine Unterschriftenliste gleichzeitig mit der zu unterstützenden Stellungnahme bei der Landesregierung als Behörde erster Instanz eingebracht wird. Für den Zeitpunkt der Entstehung der Bürgerinitiative bzw für die Entstehung der Parteistellung im Genehmigungsverfahren ist daher die ordnungsgemäße Einbringung der Stellungnahme und der Unterschriftenliste maßgeblich. § 9 Abs 1 UVP-G 2000 statuiert hierfür eine Frist von sechs Wochen ab Beginn der öffentlichen Auflage des Genehmigungsantrages und der UVE.

 

Die Auflagefrist gem § 9 Abs 1 UVP-G 2000 ist - soweit sie sich auf das Entstehen einer Bürgerinitiative bezieht - eine materiellrechtliche Frist. Materiellrechtliche Fristen sind nicht restituierbar, ein Wiedereinsetzungsantrag in den vorigen Stand gem § 71 AVG und sohin auch ein Antrag auf "Quasi-Wiedereinsetzung" in den vorigen Stand gem § 42 Abs 3 AVG kommen nicht in Betracht.

 

Die Ausgestaltung des Verfahrens iSd Art 10a UVP-RL betreffend die "nationale gerichtliche Zuständigkeit, Fristen, Prozessfähigkeit usw" ist Sache der einzelnen und den Mitgliedstaaten kommt sohin grundsätzlich Verfahrensautonomie zukommt. Bei der Ausgestaltung der innerstaatlichen Verfahrensvorschriften sind die Mitgliedstaaten jedoch nicht vollkommen frei, sondern unterliegen den im "Primärrecht der Union verankerten Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität". Die Verfahren über Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, dürfen somit nicht ungünstiger gestaltet werden als bei entsprechenden Klagen, die nur innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)