31.01.2014 Verfahrensrecht

OGH: § 98 ZPO ist unionsrechtswidrig

Der in § 98 ZPO vorgesehene gerichtliche Auftrag an eine Partei, die keine Abgabestelle im Inland hat, für den Rechtsstreit einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland namhaft zu machen, ist unionsrechtswidrig


Schlagworte: Internationales Verfahrensrecht, europäischer Zahlungsbefehl, keine Abgabestelle im Inland, Zustellungsbevollmächtigter
Gesetze:

Art 1 EuZVO, Art 14 EuZVO, § 98 ZPO

GZ 2 Ob 156/13z, 27.11.2013

 

Die beklagte GmbH mit Sitz in Deutschland erhob gegen den vom zuständigen Bezirksgericht für Handelssachen Wien erlassenen Europäischen Zahlungsbefehl einen rechtzeitigen Einspruch ohne anwaltliche Vertretung. Daraufhin trug das Erstgericht mit Beschluss der Beklagten auf, einen in Österreich wohnhaften Zustellbevollmächtigten namhaft zu machen. Es verwies auf die in § 98 ZPO für den Fall der Nichtbeachtung dieses Auftrags geknüpften Rechtsfolgen, nämlich dass dann weitere Zustellungen durch Übersendung des jeweiligen Schriftstücks ohne Zustellnachweis erfolgen würden, bis ein geeigneter Zustellbevollmächtigter dem Gericht namhaft gemacht oder dem Gericht eine Abgabestelle im Inland bekannt gegeben werde. Das Schriftstück gelte 14 Tage nach Aufgabe zur Post als zugestellt.

 

Gegen diesen Beschluss erhob die jetzt durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertretene Beklagte den Rekurs und brachte darin vor, sie wolle sich ua wegen des anzuwendenden deutschen Rechts von einem in Deutschland ansässigen Rechtsanwalt vertreten lassen. Wegen der anzuwendenden EuZVO sei § 98 ZPO wegen unverhältnismäßiger und damit ungerechtfertigter, mittelbarer Diskriminierung unionsrechtswidrig.

 

Das Rekursgericht wies den Rekurs zurück, weil die nunmehr ohnehin durch einen österreichischen Rechtsanwalt vertretene Beklagte durch den Auftrag des Erstgerichts nicht beschwert sei.

 

OGH: Der vorliegende Fall fällt in den Anwendungsbereich der EuZVO. § 98 ZPO widerspricht wegen der darin angeordneten Zustellung ohne Zustellnachweis und der Fiktion der Zustellung Art 14 EuZVO. Diese Bestimmung schreibt nämlich für Zustellungen nach der EuZVO ein Einschreiben mit Rückschein oder einen gleichwertigen Beleg vor. § 98 ZPO ist daher unionsrechtswidrig. Der für die Anwendung des Unionsrechts geltende „effektive Rechtsschutz“ durch die nationalen Behörden verbietet einen gerichtlichen Auftrag nach § 98 ZPO. Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vor nationalem Recht ist weder die Rechtsmittelbeschränkung des § 87 Abs 2 ZPO noch die vom Rekursgericht herangezogene österreichische Rsp zur fehlenden Beschwer anzuwenden.