10.01.2014 Zivilrecht

OGH: Amtshaftung – Behindertenbetreuung als Hoheitsverwaltung?

Die Betreuung von Behinderten als Sachleistung nach dem OÖ BhG ist Hoheitsverwaltung und fällt demnach in den Geltungsbereich des AHG


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Amtshaftung, Behindertenbetreuung, Hoheitsverwaltung
Gesetze:

§§ 1 ff AHG, §§ 1295 ff ABGB

GZ 1 Ob 19/13w, 11.04.2013

 

Der Sohn der Klägerin wurde von einer OÖ Behinderteneinrichtung betreut. Er litt an Autismus und damit verbundener Aggressivität. Am 17.12.2008 verletzte er auf Grund eines Wutausbruches seine Mutter schwer. Diese warf der Behinderteneinrichtung Betreuungsfehler (Reizüberflutung des Sohnes) und Versäumnisse, die Mutter über den aktuellen Zustand ihres Sohnes zu informieren, vor. Ihre Klage war insbes auf Amtshaftung gestützt. Es ging um die Anwendbarkeit des AHG.

 

OGH: Berücksichtigt man insbesondere - worauf die Klägerin zu Recht hinwies - , dass sich ihr Sohn die Betreuungseinrichtung nicht selbst aussuchen konnte, sondern diese vielmehr in Form einer Sachleistung zur Verfügung gestellt wurde, deren Kosten - mit Ausnahme des vorgeschriebenen Kostenbeitrags - das Land zu tragen hatte, erweist sich die Förderung und Betreuung des Sohnes der Klägerin - ähnlich wie Ausbildung und Betreuung im Bereich des Schulunterrichts - als hoheitliche Maßnahme.

 

Dafür spricht auch die Aufsicht der Landesregierung über die in Betracht kommenden Einrichtungen der Eingliederungshilfe, die auch mit Bescheid anzuerkennen sind oder denen gegebenenfalls die Anerkennung mit Bescheid zu entziehen ist. Auch die Beziehungen zwischen dem Land und den Betreuungseinrichtungen sind somit in hoheitlicher Form als öffentlich rechtliches Verhältnis konzipiert. Sollten entsprechende Einrichtungen nicht (ausreichend) zur Verfügung stehen, trifft sogar das Land selbst die Verpflichtung, für den Bestand solcher Einrichtungen zu sorgen. Auch damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der Förderung und Betreuung von Behinderten eine hoheitliche Zielsetzung zugrunde liegt. Dass die tatsächliche Durchführung der in Betracht kommenden Maßnahmen ebenfalls der (hoheitlichen) Vollziehung der Gesetze zuzuordnen ist, kann jedenfalls in den Fällen nicht zweifelhaft sein, in denen die Betreuung als konkrete Sachleistung zur Verfügung gestellt wird, sei es durch den Rechtsträger selbst oder im Wege einer von diesem bescheidmäßig anerkannten Einrichtung.

 

Richtig verweist die Revisionswerberin auch darauf, dass hoheitliches Handeln grundsätzlich so auszuüben ist, dass dabei, soweit vermeidbar, auch Personen nicht zu Schaden kommen, die mit dessen Auswirkungen in Berührung kommen. In § 1 Abs 1 Oö ChG wird als Gesetzesziel ua genannt, Menschen mit Beeinträchtigung eine umfassende Eingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. Soll nun insbesondere die - regelmäßig ohnehin oft nur begrenzt mögliche - Eingliederung in die Gesellschaft gefördert werden, liegt es nahe, dass jedenfalls die hauptsächlichen Bezugspersonen des Behinderten auch von den gewährten Hilfsmaßnahmen profitieren sollen. Ihnen wird einerseits die Last der persönlichen Betreuung teilweise abgenommen, andererseits sollen die Maßnahmen auch dazu führen, dass ein Zusammenleben mit den Behinderten - soweit möglich - einfacher wird. Gerade bei der (hier behaupteten) Verletzung von Betreuungs- und Aufsichtspflichten, die zu einer (sonst vermeidbaren) Schädigung eines nahen Familienangehörigen führen, kommt eine Haftung des Rechtsträgers nach den Regeln des Amtshaftungsrechts durchaus in Betracht.