OGH: Verzug nach § 72 EheG
Bei einer am Sinn und Zweck der Regelung des § 72 EheG orientierten Auslegung kann der Unterhalt geschiedener Ehegatten bereits ab dem Zeitpunkt gefordert werden, zu dem der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltspflichtigen berechtigterweise zur Auskunftserteilung zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert hat
§ 72 EheG, Art 42 EGZPO
GZ 10 Ob 40/13z, 22.10.2013
OGH: Gem § 72 EheG kann der Berechtigte für die Vergangenheit Erfüllung erst von der Zeit an fordern, in der der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. Diese Bestimmung des § 72 EheG gilt auch für einen nach § 55a EheG vertraglich geregelten Unterhalt, soweit er gem § 69a Abs 1 EheG einem gesetzlichen Unterhalt gleichzuhalten ist. Im Zweifel ist anzunehmen, dass bloß eine Konkretisierung des gesetzlichen Unterhalts vorliegt. § 72 EheG ist insoweit auch auf ein Begehren auf Erhöhung des nach § 55a EheG vereinbarten Unterhalts anwendbar.
Der Verzug des Unterhaltspflichtigen ist somit Anspruchsvoraussetzung des Unterhalts für die Vergangenheit. Bei einer am Sinn und Zweck der Regelung des § 72 EheG orientierten Auslegung kann nach der Rsp des OGH der Unterhalt geschiedener Ehegatten bereits ab dem Zeitpunkt gefordert werden, zu dem der Unterhaltsberechtigte den Unterhaltspflichtigen berechtigterweise zur Auskunftserteilung zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert hat. Diese Aufforderung zur Auskunftserteilung kommt in ihren Wirkungen dem durch eine Mahnung eintretenden Verzug gleich. Der Unterhaltsschuldner muss von diesem Zeitpunkt an in gleicher Weise wie bei einer Mahnung damit rechnen, dass er auf Unterhalt in Anspruch genommen wird und er gegebenenfalls entsprechende Rücklagen bilden muss. Er kann aber nach Treu und Glauben keine Vorteile daraus ziehen, dass der Unterhaltsberechtigte ohne Auskunft den Unterhaltsanspruch nicht beziffern kann.
Im vorliegenden Fall war die Klägerin bereits aufgrund des Scheidungsvergleichs berechtigt, einmal jährlich die Einkommensunterlagen des Beklagten zu erhalten. Mit Schreiben vom 23. 7. 2008 forderte sie den Beklagten durch ihre ausgewiesene Vertreterin auf, ihr entweder ab Oktober 2007 weitere 500 EUR monatlich an Unterhalt zu zahlen oder ihr bis spätestens 31. 8. 2008 sein wirtschaftliches Einkommen für die Jahre 2003 bis 2007 nachzuweisen. Der Beklagte war daher bereits durch dieses Forderungsschreiben der Klägerin auch für den Zeitraum bis zur Klagseinbringung am 15. 1. 2009 bzw zur Klagsausdehnung am 9. 3. 2011 in Kenntnis der Unterhaltsforderungen der Klägerin, die sich an seinem tatsächlichen Einkommen orientierten. Die Klägerin hat auch in ihrer Klage ausdrücklich geltend gemacht, dass ihr die notwendigen Unterlagen für die Berechnung ihres Unterhaltsanspruchs nicht zur Verfügung stünden und sie sich daher eine Ausdehnung ihres Unterhaltsbegehrens vorbehalte. Nach Vorlage der Unterlagen durch den Beklagten, der Einholung von zwei Sachverständigengutachten und deren Erörterung zuletzt in der Tagsatzung am 9. 3. 2011 hat die Klägerin noch in dieser Tagsatzung ihr Klagebegehren ausgedehnt.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich seit dem Erhalt des Forderungsschreibens der Klägerin vom 23. 7. 2008 in Verzug nach § 72 EheG befunden, steht daher im Einklang mit der zitierten Rsp des OGH. Der Klägerin kann es nach dieser Rsp auch nicht zum Nachteil gereichen, dass sie ihren Unterhaltsanspruch erst nach Vorlage der beiden Sachverständigengutachten und deren Erörterung endgültig beziffern konnte.