13.12.2013 Zivilrecht

OGH: Zum Schutzbereich des § 97 ABGB (hier: Zufahrtsweg und Gärten)

Ein Zufahrtsweg ist vom Schutzbereich des § 97 ABGB jedenfalls dann umfasst, wenn dieser Zugang essentielle Voraussetzung für die Nutzung einer Wohnmöglichkeit darstellt; auch der zum Haus gehörige Garten ist als Teil der Ehewohnung aufzufassen, wenn er den Bedürfnissen der Ehegatten gedient hat und sich im Rahmen eines gewöhnlichen Hausgartens hält


Schlagworte: Familienrecht, Wohnrecht des Ehegatten, dringendes Wohnbedürfnis, Zufahrtsweg, Garten, Verkauf
Gesetze:

§ 97 ABGB

GZ 6 Ob 136/13p, 24.10.2013

 

OGH: Durch die Benützung einer Wohnung, in der das dringende Wohnbedürfnis eines Ehegatten befriedigt wird, erwirbt dieser einen familienrechtlichen, durch § 97 ABGB gesicherten Anspruch auf Erhaltung der Wohnmöglichkeit gegen den anderen Ehegatten.

 

§ 97 ABGB schützt den nicht verfügungsberechtigten Ehegatten jedoch nur so weit, als dieser auf die Wohnung, die der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, angewiesen ist. Der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte muss zwar sein Wohnbedürfnis räumlich nicht auf das Allernotwendigste beschränken; gemeint mit dieser Regelung ist vielmehr das tatsächliche Bedürfnis an der - in Ermangelung einer anderen - tatsächlich benützten Wohnung im gegebenen Umfang. Dem betroffenen Ehegatten soll jene Wohnmöglichkeit erhalten bleiben, die ihm bisher zur Deckung der den Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnissen diente und die er weiter benötigt; soweit aber die Liegenschaft den Wohnbedürfnissen eines Ehegatten nicht gedient hat, ist die Vornahme einer Benützungsregelung auch bei aufrechter Ehe durchaus möglich.

 

Die Unterlassungspflichten und Beistandspflichten nach § 97 ABGB sind als Ausnormung der spezifischen Beistandspflicht des verfügungsberechtigten Ehegatten zu sehen, das qualifizierte Interesse des anderen an der Wohnung zu wahren.

 

Ein Zufahrtsweg ist vom Schutzbereich des § 97 ABGB jedenfalls dann umfasst, wenn dieser Zugang essentielle Voraussetzung für die Nutzung einer Wohnmöglichkeit darstellt. Aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich aber lediglich, dass ein Zufahrtsweg auf dem Grundstück Nr 359 vorhanden ist. Es fehlen jedoch Feststellungen dazu, inwieweit auch ein Weg auf dem Grundstück Nr 357 vorhanden ist, von der Klägerin tatsächlich genutzt wird bzw für die Nutzung der Wohnmöglichkeit notwendig oder auch nur zweckmäßig ist.

 

Es widerspreche dem Schutzzweck des § 97 ABGB, die Klägerin für die Durchsetzung ihrer bislang gesicherten Ansprüche auf den Rechtsweg gegenüber einem Dritten zu verweisen. Einerseits ist die vom Berufungsgericht angenommene Offenkundigkeit bzw Sichtbarkeit des Weges über das Grundstück Nr 353/1 von den Feststellungen des Erstgerichts nicht gedeckt. Auch ist keineswegs gewährleistet, dass die Klägerin in einem hypothetischen Verfahren gegen einen Erwerber des Grundstücks ihre Rechtsposition auch behaupten könnte. Ein verständiger und vorsorgender Benützer würde die vom Beklagten beabsichtigte Änderung der Rechtsstellung daher nicht vornehmen. Die Klägerin dem Risiko eines derartigen Rechtsstreits auszusetzen, widerspricht dem Schutzgedanken des § 97 ABGB.

 

Nach stRsp ist auch der zum Haus gehörige Garten als Teil der Ehewohnung aufzufassen, wenn er den Bedürfnissen der Ehegatten gedient hat und sich im Rahmen eines gewöhnlichen Hausgartens hält. Bisher fehlen jedoch Feststellungen über das Ausmaß der Gärten auf den Grundstücken Nr 359 sowie 357 sowie deren Benutzung durch die Klägerin. Daher lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob sich tatsächlich auf dem Grundstück 357 ein Garten befindet und ob dieser in den Anwendungsbereich des § 97 ABGB fällt.

 

Der Argumentation des Berufungsgerichts, das Vorhandensein eines Gartens auf dem Grundstück Nr 359 schließe jedenfalls aus, dass auch ein zweiter, womöglich verbundener - Garten ebenfalls vom Anwendungsbereich des § 97 ABGB umfasst sein könnte, ist in dieser Form nicht zu folgen. Entscheidend ist nicht die - oft von historischen Zufälligkeiten abhängige - Grundstücksbezeichnung, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten in der Natur. Zu diesen fehlen jedoch nähere Feststellungen.

 

Da die bisher getroffenen Feststellungen zur abschließenden rechtlichen Beurteilung nicht ausreichen, war dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Erst auf Grundlage der zu treffenden ergänzenden Feststellungen wird verlässlich zu beurteilen sein, ob und inwieweit die noch strittigen Liegenschaftsteile gegebenenfalls von § 97 ABGB erfasst sind.