OGH: Verschuldenszumessung bei Scheidung iZm verfristeten Eheverfehlungen
Nach § 57 EheG verfristete Eheverfehlungen können noch zur Unterstützung eines auf andere, nicht verfristete Eheverfehlungen gestützten Scheidungsbegehrens herangezogen werden, wobei diese neuen Eheverfehlungen zwar nicht vollkommen belanglos sein dürfen, für sich allein aber auch für eine Scheidung nicht ausreichen müssen
§ 60 EheG, § 57 EheG
GZ 2 Ob 107/13v, 30.07.2013
OGH: Zwar erfolgt die Verschuldenszumessung bei der Scheidung nach den Umständen des Einzelfalls, sodass damit idR keine erhebliche Rechtsfrage begründet wird.
Nach der Judikatur kann aber die Berücksichtigung verjährter und verziehener Eheverfehlungen zur Verschiebung des Grades des Verschuldens führen. Solche Eheverfehlungen sind nur grundsätzlich geringer zu bewerten, je länger sie zurückliegen. Auch frühere Eheverfehlungen sind daher in die Gesamtabwägung einzubeziehen. Nach § 57 EheG verfristete Eheverfehlungen können noch zur Unterstützung eines auf andere, nicht verfristete Eheverfehlungen gestützten Scheidungsbegehrens herangezogen werden, wobei diese neuen Eheverfehlungen zwar nicht vollkommen belanglos sein dürfen, für sich allein aber auch für eine Scheidung nicht ausreichen müssen. Es genügt vielmehr, dass alle Eheverfehlungen insgesamt schwer sind und einen Scheidungsgrund bilden.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann hier keineswegs gesagt werden, dass der Kläger in den letzten sechs Monaten vor Zerrüttung der Ehe keine Eheverfehlungen gesetzt hätte. Geht man mit dem Berufungsgericht von einer endgültigen Zerrüttung der Ehe im Frühjahr 2010 aus, ist zu konstatieren, dass der Kläger die im Oktober 2009 beginnenden Versuche der Beklagten, ihre unterwürfige Disposition aufgrund des im Rahmen der Therapie gesteigerten Selbstwertgefühls mehr in Richtung einer - gesetzlich verankerten - partnerschaftlichen Ausrichtung einer Ehe zu verändern, nicht akzeptierte und als Belastung der Beziehung zu seiner Frau ansah, was zu Streitigkeiten führte.
Betrachtet man dieses Verhalten iZm dem sonstigen extrem dominierenden Verhalten des Klägers, das einerseits so weit ging, die körperliche Integrität der Beklagten iZm den massiv von ihm beeinflussten Versuchen der künstlichen Befruchtung hintanzustellen - auch wenn dies letztendlich zu der auch von der Beklagten begrüßten Geburt des gemeinsamen Sohnes führte - und das andererseits seinen signifikanten Ausdruck darin fand, dass die Beklagte sich nicht getraute, selbst kleinere persönliche Einkäufe in die gemeinsame Wohnung zu bringen, kann dieses Verhalten insgesamt nicht außer Betracht bleiben.
Hingegen hat die Beklagte eine ehewidrige Beziehung unterhalten und relativ überraschend und abrupt auf die Beendigung der Ehe gedrängt, ohne ihr eine Fortsetzungschance zu geben.
Ein überwiegendes Verschulden einer Seite ist nach stRsp aber nur dann auszusprechen, wenn es erheblich schwerer wiegt als das des anderen, der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich hervortritt und das Verhalten der anderen Seite dagegen eher zu vernachlässigen ist.
Das Verhalten des Klägers kann hier aber nicht in diesem Sinn vernachlässigt werden, weshalb in Abänderung der vorinstanzlichen Entscheidungen das gleichteilige Verschulden an der Scheidung der Ehe auszusprechen war.