OGH: Erfüllungsgehilfenhaftung, Solidarhaftung, Regressanspruch und zur Frage der Abgrenzung vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten (hier: bei einem Transportauftrag) gegenüber vertragsfernen Personen (Dritten)
Nähere Ausführungen im Langtext
§§ 1295 ff ABGB, § 1313a ABGB, § 881 ABGB, § 896 ABGB, § 1302 ABGB
GZ 2 Ob 191/12w, 30.07.2013
OGH: Die Beurteilung, ob das Fehlverhalten eines Gehilfen noch innerhalb des für den Geschäftsherrn wahrzunehmenden Pflichtenkreises liegt und ein sachlicher Zusammenhang mit dem Interessenverfolgungsprogramm des Geschäftsherrn besteht, entzieht sich einer allgemeinen Aussage und richtet sich typischerweise nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Davon abgesehen kommt es hier nicht auf die vertraglichen Pflichten „bei einem Transportauftrag“, sondern - wie das Berufungsgericht an anderer Stelle ohnedies selbst erkennt - nur auf jene aus dem Vertragsverhältnis der zweitklagenden Partei zur I***** GmbH, somit aus dem zwischen diesen Vertragsparteien geschlossenen Kauf- und Liefervertrag an.
Das Berufungsgericht stützte sich auf die Entscheidung 1 Ob 711/89, in der dem Geschäftsherrn eine den Auftrag überschreitende Handlung seines Erfüllungsgehilfen mit der Begründung zugerechnet wurde, dass dieses Verhalten weder örtlich noch sachlich aus dem allgemeinen Umkreis seines Aufgabenbereichs herausgefallen sei, die vertragliche Beziehung zwischen den damaligen Streitteilen dem Gehilfen erst den Zugang zum Ort der schadensstiftenden Handlung eröffnet habe und der Gehilfe auch annehmen habe dürfen, dass er bei der gefälligkeitshalber erfolgten Überschreitung seines Aufgabenbereichs im Rahmen der Verfolgung der Interessen seines Geschäftsherrn geblieben sei. Es gelangte zu dem Ergebnis, dass die Handlung des Zweitbeklagten trotz Auftragsüberschreitung vom sachlichen Zusammenhang mit der vom Schuldner angestrebten Interessenverfolgung noch nicht zur Gänze gelöst gewesen sei.
Der Zweitbeklagte führt in der Revision dagegen nur ins Treffen, es sei „vollkommen unerfindlich“, warum die zweitklagende Partei gegenüber dem Geschädigten für einen außerhalb ihrer vertraglichen Leistungspflicht (beim Abladen) entstandenen Schaden haften solle, ohne auch nur mit einem Wort auf die in der angefochtenen Entscheidung ausführlich wiedergegebenen Grundsätze der zitierten Rsp und die darauf gegründeten Erwägungen des Berufungsgerichts einzugehen. Gründe, aus denen diese Grundsätze im vorliegenden Fall nicht anwendbar sein könnten, werden im Rechtsmittel nicht dargelegt. Damit gelingt es dem Zweitbeklagten aber auch nicht, eine korrekturbedürftige krasse Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zu der erörterten Abgrenzungsfrage im vorliegenden Einzelfall aufzuzeigen. Die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage stellt sich daher nicht.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Vertrag zwischen der zweitklagenden Partei und der I***** GmbH habe Schutzwirkungen zugunsten des verletzten Lagerleiters entfaltet, wurde auf einschlägige Rsp des OGH gestützt. Es entspricht ferner hRsp, dass ein Schuldner bei Verletzung vertraglicher Schutzpflichten, die ihn gegenüber einem Dritten treffen, nicht nur dem Gläubiger der Hauptleistung, sondern auch dem Dritten für seinen Gehilfen nach § 1313a ABGB haftet.
Auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, der Zweitbeklagte sei als Dienstnehmer der erstbeklagten Partei Teil der angenommenen „Gehilfenkette“, hat ihre Grundlage in höchstgerichtlicher Rsp. Der in der Revision relevierte Umstand, dass der Zweitbeklagte in keinem Vertragsverhältnis zur zweitklagenden Partei stand, hindert daher nicht seine Rechtsstellung als Erfüllungsgehilfe. Ob der Geschädigte außerhalb der „Gehilfenkette“ stand, ist im gegebenen Zusammenhang bedeutungslos.
Es trifft zu, dass der Zweitbeklagte nur dem Geschädigten gegenüber deliktisch haftet. Da auch die vertragliche Haftung der zweitklagenden Partei mit vertretbarer Begründung bejaht wurde, liegt ein Fall der Solidarhaftung (von zweitklagender Partei und Zweitbeklagtem) vor. Das Berufungsgericht hat im Einklang mit der hRsp dargelegt, dass bei dieser Konstellation ein Regressanspruch des Geschäftsherrn nach den §§ 1302, 896 ABGB in Frage kommen kann.
Der Regressanspruch nach § 896 ABGB ist ein selbständiger Anspruch, dessen Art und Umfang sich nach dem zwischen den Streitteilen bestehenden „besonderen Verhältnis“ richtet. Dieses kann auf rechtsgeschäftlichen Beziehungen zwischen den Mitschuldnern beruhen, aber auch auf schadenersatzrechtlichen Verflechtungen und sonstigen Umständen, die im konkreten Fall ein Abweichen vom Rückgriff nach Kopfteilen rechtfertigen.
Im vorliegenden Fall ging das Berufungsgericht von der Möglichkeit künftigen Regresses in vollem Umfang aus. Auch diese Rechtsansicht wirft mangels eines vertraglichen Verhältnisses zum Zweitbeklagten und in Anbetracht dessen - in der Revision gar nicht mehr bestrittenen - Alleinverschuldens an dem Unfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf. Die offenbar dem Transportrecht entnommenen Überlegungen zum Verbot eines „Sprungregresses“ kommen hier nicht zum Tragen.
Dass sich der Zweitbeklagte den klagenden Parteien gegenüber nicht auf das DHG berufen kann, ist darin begründet, dass er nicht Dienstnehmer der zweitklagenden Partei ist. Von einer „Umgehung“ des DHG kann entgegen der in der Revision vertretenen Meinung keine Rede sein.
Der Regressanspruch nach den §§ 1302, 896 ABGB entsteht zwar nicht schon mit dem Schadensereignis, sondern erst, wenn wirklich Ersatz geleistet worden ist. Allerdings wird in stRsp des OGH das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung künftiger Regressansprüche bejaht. Voraussetzung ist, dass solche Ansprüche möglich sind.
Da unter den erörterten rechtlichen Prämissen sowie im Hinblick auf die außergerichtlich bereits erfolgte Inanspruchnahme der zweitklagenden Partei durch den Geschädigten und einen Sozialversicherungsträger künftige Regressansprüche der klagenden Parteien - anders als etwa in dem zu 2 Ob 212/12h entschiedenen Fall - möglich erscheinen, hat das Berufungsgericht das Feststellungsinteresse in zumindest vertretbarer Weise bejaht.
Letzteres gilt auch für die erstklagende Partei. Soweit der Zweitbeklagte seine mögliche künftige Haftung dieser gegenüber erneut als „vollkommen unerfindlich“ bezeichnet, ist er darauf zu verweisen, dass die erstklagende Partei entgegen seiner nunmehrigen Behauptung ausreichendes - von ihm allerdings nie substantiiert bestrittenes - Prozessvorbringen zu ihrer Deckungspflicht als Haftpflichtversicherer der zweitklagenden Partei, ihrer Aktivlegitimation für künftige Regressansprüche und ihrem daraus abzuleitenden Feststellungsinteresse erstattet hat. Auf diese (unbestrittenen) Prozessbehauptungen hat erkennbar schon das Erstgericht seine Entscheidung hinsichtlich der erstklagenden Partei gestützt. Da die Ersatzansprüche des Geschädigten bzw der Sozialversicherungsträger die Haftpflichtversicherungssumme übersteigen könnten - Spätfolgen sind nach den Feststellungen möglich - wäre trotz Deckungspflicht der erstklagenden Partei nicht ausgeschlossen, dass künftig Regressansprüche beider klagenden Parteien entstehen.
Davon abgesehen hatte der Zweitbeklagte diesen rechtlichen Gesichtspunkt in seiner Berufung nicht einmal ansatzweise thematisiert. Die allseitige Überprüfung der rechtlichen Beurteilung des Berufungsurteils durch den OGH beschränkt sich jedoch auf jene Umstände, die Gegenstand des Berufungsverfahrens gewesen sind. Auch insoweit zeigt der Zweitbeklagte in der Revision daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.