30.08.2013 Zivilrecht

OGH: Schenkungsanrechnung nach § 785 ABGB und rechtsmissbräuchlicher Pflichtteilsverzicht

Die Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB wird dann als missbräuchlich beurteilt, wenn der Pflichtteilsverzicht des Beschenkten offenkundig bezweckte, die Anrechnung der geschenkten Liegenschaften zu verhindern und ihn gegen Pflichtteilsergänzungsansprüche anderer Noterben abzusichern


Schlagworte: Erbrecht, Schenkungsanrechnung, pflichtteilsberechtigte Personen, Verzicht auf Pflichtteil, Rechtsmissbrauch
Gesetze:

§ 785 ABGB, § 1295 Abs 2 ABGB

GZ 9 Ob 47/13x, 24.07.2013

 

OGH: Unter den pflichtteilsberechtigten Personen iSd § 785 ABGB, die zur unbefristeten Schenkungsanrechnung verpflichtet sind, sind nur jene zu verstehen, die im konkreten Fall im Zeitpunkt des Erbanfalls tatsächlich pflichtteilsberechtigt sind und die im Schenkungszeitpunkt „abstrakt“ pflichtteilsberechtigt waren. Ein Pflichtteilsverzicht vor dem Erbanfall schließt somit eine fristenlose Anrechnung aus, sofern kein Rechtsmissbrauch vorliegt. Die Berufung auf § 785 Abs 3 ABGB wird dann als missbräuchlich beurteilt, wenn der Pflichtteilsverzicht des Beschenkten offenkundig bezweckte, die Anrechnung der geschenkten Liegenschaften zu verhindern und ihn gegen Pflichtteilsergänzungsansprüche anderer Noterben abzusichern. Ob Rechtsmissbrauch vorliegt, ist eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage.

 

Gegen einen Rechtsmissbrauch des von der Beklagten im Jahr 1980 abgegebenen Erbverzichts spricht schon der Umstand, dass die im Jahr 2007 verstorbene Erblasserin (Mutter des Klägers) damals geplant hatte, dem Kläger die im Ersturteil näher bezeichnete Liegenschaft zu übergeben, die er in der Folge auch bewohnte. Dass es aufgrund des späteren Zerwürfnisses und der Prozessführung des Klägers gegen die Erblasserin nicht zu dieser Übergabe kam, kann nicht der Beklagten als Rechtsmissbrauch zur Last gelegt werden.

 

Die Erblasserin übergab diese Liegenschaft im Jahr 1997 der Beklagten. Warum darin eine „rechtsmissbräuchliche Ausnutzung des Erb- und Pflichtteilsverzichts“ liegen sollte, ist nicht ersichtlich, zumal die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die Übergabe der Liegenschaft auch in Entsprechung einer sittlichen Pflicht iSd § 785 Abs 3 erster Satz ABGB erfolgt war, weil die Beklagte in einer über die Beistandspflicht der Kinder gegenüber ihren Eltern (§ 137 Abs 2 ABGB) hinausgehenden Weise Pflegeleistungen für ihren schwerkranken Vater erbracht und sich im Übergabsvertrag auch gegenüber der Erblasserin dazu verpflichtet hatte. Dieser Verpflichtung kam sie bei einem Pflegebedarf der Erblasserin nach Maßgabe der Pflegegeldstufe 6 auch nach.

 

Zur Ansicht der Vorinstanzen, dass das Begehren des Klägers auf Schenkungsanrechnung unberechtigt sei, besteht danach kein Korrekturbedarf.