OGH: Missbrauch der Amtsgewalt gem § 302 StGB
Das allgemeine Recht des Staats gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufs- und Dienstausübung, der abstrakte staatliche Anspruch auf eine korrekte und saubere Verwaltung, allgemeine staatliche Kontroll- und Aufsichtsrechte und bloß interne Dienstvorschriften sind keine (konkreten) Rechte, die der Schädigungsvorsatz verlangt; Täuschung (bloß) der Dienstaufsicht ist daher nicht gerichtlich strafbar; das ist Sache des Disziplinarrechts; für den Bereich des Strafrechts erübrigen sich damit auch Abgrenzungsprobleme zwischen informeller Befragung über Aktenrückstände und schriftlichen Berichtsaufträgen; werden diese durch Fehleintragungen unterlaufen, liegt Missbrauch der Amtsgewalt (deshalb allein noch) nicht vor; will der Täter aber konkrete Schritte eines (Verwaltungs-)Strafverfahrens beeinflussen, kommt Missbrauch der Amtsgewalt ins Spiel
§ 302 StGB, § 29 VStG, VStG, § 43 BDG, §§ 91 ff BDG
GZ 17 Os 6/13f, 27.05.2013
OGH: Der angefochtene Schuldspruch umfasst keine gleichartige Verbrechensmenge nur pauschal individualisierter Taten, sondern 333 (im Urteil einzeln bezeichnete) Fälle des Missbrauchs der Amtsgewalt, die - ungeachtet der Anwendung des Zusammenrechnungsgrundsatzes des § 29 StGB - rechtlich selbständig sind und solcherart je für sich den Gegenstand von Schuld- und Freispruch bilden.
Das Erstgericht hat sich gleichwohl darauf beschränkt, die der Bf angelasteten Verletzungen ihr zukommender Befugnis bloß pauschal festzustellen und darüber hinaus hinsichtlich der in den einzelnen Verwaltungsstrafverfahren konkret vorgeworfenen Verfehlungen auf eine tabellarische Übersicht zu verweisen, in welcher die (unterlassenen) Verfahrensschritte bloß stichwortartig, zum Teil bloß (in nicht allgemein verständlicher Form) durch Abkürzungen oder Zitierung von Rechtsvorschriften, angeführt sind. Schon deshalb entsprechen die Entscheidungsgründe nicht dem gesetzlichen Auftrag, die als erwiesen angenommenen Tatsachen in Bezug auf das vorgeworfene Verhalten (in jedem Einzelfall) - zwar in gedrängter Form, aber - mit voller Bestimmtheit anzugeben (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO). Dazu kommt, dass die Bf nach den - undifferenziert zu allen Taten gleichermaßen getroffenen - Konstatierungen zur subjektiven Tatseite, „im gesamten Deliktszeitraum“ beim (wissentlichen) Befugnismissbrauch „die Schädigung der Republik Österreich in ihrem Recht auf Strafverfolgung durch gesetzmäßige Verfahrensführung und Herbeiführung inhaltlich sachgerechter Entscheidungen vor Eintritt der Verjährung und teils an ihrem Recht auf Einhebung von Verwaltungsstrafen und der Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens in deren Rechten auf zeitnahe Verfahrensführung und sachgerechte inhaltliche Entscheidungen sowie Mitteilung derselben, billigend in Kauf“ genommen habe (US 3). Eine Zuordnung, bei welchen Taten sie konkret den Vorsatz gehabt habe, „dadurch“ (vgl § 302 Abs 1 StGB) den Staat oder private Personen an einem (oder mehreren) dieser (ganz unterschiedlichen) Rechte zu schädigen, ist solcherart nicht möglich. Die Feststellungen vermögen daher insgesamt den Schuldspruch nicht zu tragen, weshalb dessen Aufhebung unumgänglich war. Gleichzeitige Behebung des darauf beruhenden Strafausspruchs ist rechtslogische Folge. Eine Erörterung des Beschwerdevorbingens erübrigt sich somit.
Im zweiten Rechtsgang wird zu beachten sein, dass die Verletzung allgemeiner staatlicher Kontroll- oder Aufsichtsrechte sowie bloß interner Dienstvorschriften als Gegenstand der Rechtsschädigung so lange nicht in Frage kommt, als hierdurch kein dahinter stehender gesetzlicher Zweck in einem konkreten Fall gefährdet wird. Das vom Schädigungsvorsatz umfasste Recht des Staats darf nämlich nicht allein jenes sein, das den Täter verpflichtet, seine Befugnis den Vorschriften entsprechend zu gebrauchen, somit keinen Befugnismissbrauch zu begehen. Es muss weiter als jenes Recht sein, das darin besteht, die Vorschrift einzuhalten, die bereits den Missbrauch der Befugnis bildet. Das allgemeine Recht des Staats gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Berufs- und Dienstausübung, der abstrakte staatliche Anspruch auf eine korrekte und saubere Verwaltung, allgemeine staatliche Kontroll- und Aufsichtsrechte und bloß interne Dienstvorschriften sind demnach keine (konkreten) Rechte, die der Schädigungsvorsatz verlangt. Täuschung (bloß) der Dienstaufsicht ist daher nicht gerichtlich strafbar. Das ist Sache des Disziplinarrechts. Für den Bereich des Strafrechts erübrigen sich damit auch Abgrenzungsprobleme zwischen informeller Befragung über Aktenrückstände und schriftlichen Berichtsaufträgen. Werden diese durch Fehleintragungen unterlaufen, liegt Missbrauch der Amtsgewalt (deshalb allein noch) nicht vor. Will der Täter aber konkrete Schritte eines (Verwaltungs-)Strafverfahrens beeinflussen, kommt Missbrauch der Amtsgewalt ins Spiel.
Auch subjektive Rechte von Parteien eines Verwaltungsstrafverfahrens als Bezugspunkt von Schädigungsvorsatz bedürfen konkreter (uU auch bloß verfassungs-)gesetzlicher Verankerung. Diese (unter dem Aspekt von Z 5 erster Fall des § 281 Abs 1 StPO deutlich anzusprechende) Verortung muss vom Täter - zumindest nach Art einer Parallelwertung in der Laiensphäre - erkannt werden, um Gegenstand von Verletzungsvorsatz zu sein. Eine Verpflichtung, dem Beschuldigten eines Verwaltungsstrafverfahrens dessen nicht bescheidmäßig erfolgte Einstellung mitzuteilen, besteht jedenfalls nur, wenn er von dem gegen ihn gerichteten Verdacht wusste (§ 45 Abs 2 zweiter Satz VStG). Ein in den Entscheidungsgründen angedeutetes Recht auf Einstellung binnen angemessener Frist kommt ohne (vom Tätervorsatz erfassten) Bezugspunkt für deren Beginn (vgl § 32 Abs 1 und 2 VStG) von vornherein nicht in Betracht (vgl aber auch § 31 Abs 3 erster Satz VStG).