08.07.2013 Zivilrecht

OGH: Anlageberatung – zur Aufklärungspflicht über das Bonitätsrisiko

Die Kläger sind in ihrem Glauben, durch die Zeichnung der Unternehmensanleihe eine zu 100 % kapitalgarantierte Anleihe zu erwerben, dadurch bestätigt worden, dass ihnen der Anlageberater erklärte, Immobilienwertpapiere seien besonders sicher, weil Immobilien immer wertgesichert seien; die Beklagte kann sich daher nicht darauf berufen, dass sie die Kläger über das Bonitäts- bzw Insolvenzrisiko der Emittentin gar nicht aufklären hätte müssen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Anlageberatung, Aufklärungspflicht über das Bonitätsrisiko
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB

GZ 9 Ob 50/12m, 24.04.2013

 

OGH: Der OGH hat sich in ähnlich gelagerten Fällen (10 Ob 30/11a, 4 Ob 70/11i, 4 Ob 140/12k und [jüngst] 10 Ob 7/12w vom 29. 1. 2013 und 7 Ob 178/11v vom 18. 2. 2013) mit der hier ua zu beurteilenden Unternehmensanleihe bereits befasst und das Bestehen einer Aufklärungspflicht über das Bonitätsrisiko durchwegs bejaht. Dabei wurden die Anlageberater (aufgrund der [unzutreffenden] Darstellung, dass kein [relevantes] Emittentenrisiko bestehe) jeweils - abgesehen von einer zu 10 Ob 30/11a ausgesprochenen Aufhebung und Zurückverweisung an das Berufungsgericht - zum Ersatz des Schadens (Rückzahlung der Kapitalanlage) verpflichtet.

 

In 10 Ob 30/11a wurde klargestellt, dass - ausgehend von dem Wunsch der dortigen Klägerin nach einer „sicheren Anlage“ - das für sie wesentliche Risiko (infolge der zugesagten „Kapitalgarantie“ von 100 % des eingesetzten Kapitals) nicht in der Entwicklung der zugrunde gelegten Basiswerte („Kursrisiko“), sondern in der Bonität des Emittenten gelegen sei; habe doch die Erfüllung der Verbindlichkeit aus dem Zertifikat am Ende dessen Laufzeit alleine davon abgehangen, dass der Emittent zu diesem Zeitpunkt willens und in der Lage sein würde, seinen Verpflichtungen auch tatsächlich nachzukommen. Um der Klägerin die angemessene Bewertung der Kapitalgarantiezusage zu ermöglichen, sei der Berater daher zur ausreichend detaillierten Information über den Garantiegeber und die Garantie verpflichtet. Die gegenteilige Ansicht, es sei infolge Kapitalgarantiezusage gar keine spekulative Kapitalanlage gegeben, sodass kein Aufklärungsbedarf bestehe und sich auch ein Hinweis auf das verbleibende „allgemeine Insolvenzrisiko“ erübrige, wurde somit im Hinblick auf diese Beratungspflicht ausdrücklich abgelehnt.

 

In 10 Ob 7/12m wurde ausgeführt, dass es bei Bestehen einer Einstufung in eine höhere Risikoklasse jedenfalls Teil einer vollständigen, richtigen und sorgfältigen Beratung sei, dass der Berater die Risikoklasse mit dem Kunden erörtere und ihn über deren Bedeutung und Auswirkung auf das verfolgte Anlageziel aufkläre. (Auch) In dem zu 10 Ob 30/11a entschiedenen Fall sei daher evident gewesen, dass das von der Klägerin verfolgte Anlageziel und die Einstufung des in Aussicht genommenen Produkts in die höchste Risikoklasse („spekulativ mit Totalverlust-Risiko“) nicht in Einklang gestanden sei. Dies erfordere besondere Beratungsleistungen.

 

Auch in 10 Ob 7/12w wurde daher konsequenterweise die Auffassung vertreten, dass die Einstufung in die Risikoklasse 4 als „spekulativ mit Totalverlust-Risiko“ die Annahme eines (wesentlich) höheren als nur eines abstrakt-theoretischen, jedoch praktisch zu vernachlässigenden Bonitätsrisikos indiziere. Daher seien zu den nötigen Informationen im Rahmen der Beratung zu der - in diesem Fall noch vor Inkrafttreten des WAG 2007 [1. 11. 2007] erworbenen - Anleihe auch jene über das Bonitätsrisiko zu zählen. Es liege nämlich auf der Hand, dass ein Kunde, der eine „sichere“ Anlage wünsche, für seine Entscheidung, ob er sich trotz der Einstufung in die höchste Risikoklasse auf die ihm empfohlene Privatanleihe mit Kapitalgarantie einlassen solle, ausreichend Informationen darüber benötige, wie groß die Chancen seien, am Ende der Laufzeit das investierte Kapital auch wieder zurückzuerlangen. Das seien etwa Informationen über die Stärke, Stabilität und Prognostizierbarkeit der laufenden Finanz- und Ertragskraft der Emittentin. Weiters würden Informationen darüber erforderlich sein, wie die gegebenen Gelder investiert bzw welches Konzept hinter der Veranlagung stehe. Wesentliche Bedeutung werde auch der Risikostreuung und der Managementqualität zukommen, sowie dem Umstand, ob Hinweise auf eine hohe Verschuldung bekannt seien etc. Nur durch Aufklärung über diese und allenfalls weitere Gegebenheiten werde ein Kunde imstande sein, das Bonitätsrisiko selbst einzuschätzen. In diesem Umfang sei ein Schutzbedürfnis des Kunden nach Aufklärung zu bejahen.

 

In der jüngsten Entscheidung 7 Ob 178/11v wurde ebenfalls eine schuldhaft (grob fahrlässig) rechtswidrige Handlung des Anlageberaters darin gesehen, ein offenkundig ungeeignetes Papier empfohlen zu haben. Nach den klaren Vorgaben (Anlagezielen) der dortigen Klägerin hätte ihr der Berater nämlich jedenfalls, also auch dann vom Kauf der Anleihe abraten müssen, wenn ihm das Emittentenrisiko nur „vernachlässigbar gering“ erschienen wäre, weil diese Unternehmensanleihe keines der drei „Geeignetheitskriterien“ des § 44 Abs 2 WAG 2007 (siehe Punkt 4.1 in 7 Ob 178/11v) erfüllt habe. Auch wenn zum Zeitpunkt der Zeichnung der Anleihen noch nichts auf die sich ca ein Jahr später abzeichnende massive Verschlechterung der finanziellen Lage der Emittentin hingewiesen und es keine Anzeichen dafür gegeben habe, dass über die Emittentin das Konkursverfahren eröffnet werden würde, sei daher für den Standpunkt der Beklagten nichts zu gewinnen.

 

Mit ihren Ausführungen zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über ihr Rechtsmittel durch den OGH nicht bereits geklärt wurde. Im Übrigen sind die konkrete Ausgestaltung und der Umfang der Beratung einzelfallbezogen von einer Reihe von Faktoren abhängig, die sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageprodukt beziehen. Bei der Beurteilung des Umfangs der Beratungs- und Aufklärungspflichten handelte es sich daher grundsätzlich um eine Frage des Einzelfalls. Gegenteiliges gilt nur dann, wenn eine grobe Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste. Eine vom OGH aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt jedoch hier nicht vor.

 

Da die Kläger keine spekulative Veranlagung mit hohen Kursschwankungen und eventuellem Totalverlustrisiko wollten, sondern Wert auf eine kapitalerhaltende Anlage mit einer etwas höheren Rendite (3-6 %), als man sie zum damaligen Zeitpunkt auf einem Sparbuch erzielen konnte, legten, haben sie durch die gesamte Kapitalanlage von Wertpapieren der Risikoklassen 2-4 eine Veranlagung vermittelt erhalten, die nicht ihrem Anlageziel und ihrer Risikobereitschaft entsprochen haben. Dass die Emittentin der (auch) gegenständlichen Unternehmensanleihen, über deren Vermögen mit Beschluss des HG Wien vom 6. 3. 2009 der Konkurs eröffnet wurde, eine 100%ige Kapitalgarantie abgegeben hat, ist nicht entscheidungsrelevant, weil iZm dem Erwerb dieser der Risikoklasse 4 zugehörigen Wertpapiere über das praktisch einzige, aber hohe Risiko, nämlich die Insolvenz der Emittentin, ein besonderer Aufklärungsbedarf bestanden hat. Diesem ist die Beklagte bzw sind die Nebenintervenienten als ihre Erfüllungsgehilfen nicht nachgekommen. Die Kläger sind vielmehr in ihrem Glauben, durch die Zeichnung der Unternehmensanleihe eine zu 100 % kapitalgarantierte Anleihe zu erwerben, dadurch bestätigt worden, dass ihnen der Anlageberater erklärte, Immobilienwertpapiere seien besonders sicher, weil Immobilien immer wertgesichert seien. Auch im vorliegenden Fall kann sich die Beklagte daher nicht darauf berufen, dass sie die Kläger über das Bonitäts- bzw Insolvenzrisiko der Emittentin gar nicht aufklären hätte müssen.

 

Die Beurteilung der Vorinstanzen, die Empfehlung der offenkundig ungeeigneten Wertpapiere stelle eine - gemessen am Maßstab des § 1299 ABGB - grob fahrlässige rechtswidrige Handlung des Anlageberaters dar, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Beurteilung des Verschuldensgrades hat immer nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu erfolgen und bildet daher nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre, die im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren wäre. Eine solcherart korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vermag die Beklagte mit ihrer Argumentation, die von ihr vermittelten Unternehmensanleihen wären aufgrund der bestehenden Kapitalgarantie grundsätzlich für die Kläger geeignet gewesen, aber nicht aufzuzeigen.

 

Im vorliegenden Fall steht auch fest, dass sich gerade das - vom Rechtswidrigkeitszusammenhang umfasste - Insolvenzrisiko durch den Konkurs der Emittentin verwirklicht hat. Schadenskausale Veruntreuungshandlungen von Organen der Emittentin hat die Beklagte nicht konkretisiert, sondern sie hat nur ganz allgemein darauf hingewiesen, dass keine unrichtige Beratung zur behaupteten Vermögenseinbuße der Kläger geführt habe, sondern ausschließliche Ursache für den von den Klägern erlittenen Verlust des eingesetzten Kapitals die Machenschaften bzw die äußerst fahrlässige Finanzgebarung der Emittentin bzw der dahinter stehenden Personen gewesen seien, die auch Gegenstand von Erhebungen der Staatsanwaltschaft Wien seien. Aus diesen Gründen kommt es auf die Ursachen für das Scheitern der Emittentin nicht an, sondern es bleibt beim Einstehenmüssen für das schon genannte Insolvenzrisiko.