03.06.2013 Zivilrecht

OGH: Haftungsfragen nach Sturz in den Aufzugsschacht

Nach hA stellt § 1319 ABGB (Haftung für Gebäude) auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab und normiert insofern eine Gefährdungshaftung


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Bauwerkehaftung, Schacht, Sturz, Gefährdungshaftung
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1319 ABGB

GZ 7 Ob 26/11s, 18.05.2011

 

Der Kläger, ein freischaffender Grafiker, hatte im 3. Stock eines Wohnhauses von einem Untermieter einen Zeichenplatz gemietet. An einem Abend wollte er im 3. Stock in den Lift einsteigen. Durch ein Versagen der Türverriegelung öffnete sich die Lifttüre, obwohl sich die Kabine noch im 4. Stock befand. Der Kläger stieg ein und stürzte in den Liftschacht.

 

Beklagter war ua der Hauseigentümer. Er hätte Schutzpflichten aus dem Mietvertrag und Verkehrssicherungspflichten verletzt. Der Aufzug entsprach den damals geltenden Bauvorschriften. Der Beklagte ließ den Aufzug durch eine Fachfirma regelmäßig warten.

 

Das Erstgericht wies die Klage ab, das Berufungsgericht gab ihr teilweise statt, der OGH stellte das Ersturteil wieder her.

 

OGH: Es ist zu prüfen, ob der Kläger seine Ansprüche auf ein Fehlverhalten des von den Beklagten beauftragten Wartungsunternehmens stützen kann. Der Wartungsunternehmer, dessen Wissen oder Wissen-Müssen den Beklagten als seinen Geschäftsherren zuzurechnen ist, nahm zweimal im Jahr Service- und Reparaturarbeiten an der Liftanlage vor. Dabei überprüfte er jeweils auch die Türverriegelungen, indem er - immer vergeblich - versuchte, die Lifttüren bei Abwesenheit der Liftkabine mit Kraftaufwand zu öffnen. Das Erfordernis weitergehenden Maßnahmen war nach Lage der Dinge auch für einen Fachmann wie den Wartungsunternehmer nicht zu erkennen. Unter diesen Umständen ist eine Pflichtverletzung des Wartungsunternehmers zu verneinen.

 

Der Kläger hält auch daran fest, dass die Beklagten nach § 1319 ABGB, also deliktisch, zu haften hätten. Diese Bestimmung sieht eine Haftung des Besitzers für „Gebäude“ und „andere auf einem Grundstück aufgeführte Werke“ für Schäden vor, die das Gebäude oder Werk als Folge seiner mangelhaften Beschaffenheit durch Einsturz oder durch Ablösung von Teilen verursacht, wenn der Besitzer nicht beweist, dass er alle zur Abwendung der Gefahr erforderliche Sorgfalt angewendet hat. § 1319 ABGB ist nach hM analog auch auf Stürze in Schächte und insbesondere auch auf Unfälle mit Aufzügen anzuwenden. Nach hA stellt § 1319 ABGB auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab und normiert insofern eine Gefährdungshaftung, als der Besitzer des Werks oder der Anlage unabhängig von einem Verschulden für objektive Sorgfaltswidrigkeit zu haften hat. Der Geschädigte hat nach § 1319 ABGB den Schaden, dessen Verursachung (durch Einsturz des Werks oder Ablösung eines Teils davon oder durch einen analogen Vorgang), den Besitz des Beklagten und die mangelhafte Beschaffenheit als Schadensursache zu behaupten und zu beweisen. Gelingen diese Beweise, kann der Besitzer den Entlastungsbeweis dadurch erbringen, dass er nachweist, jene Vorkehrungen getroffen zu haben, die nach Auffassung des Verkehrs vernünftigerweise zu erwarten gewesen sind. Ein Mangel iSd § 1319 ABGB liegt dann vor, wenn ein Bauwerk nach der Verkehrsauffassung und dem Stand der Technik nicht jene Sicherheit gegen einen Einsturz oder eine Ablösung von Teilen bietet, die nach den jeweiligen Umständen zu erwarten sind. Ob der Kläger im vorliegenden Fall neben dem Besitz der Beklagten nicht nur den Schaden und dessen Verursachung sondern auch die Mangelhaftigkeit des Aufzugs unter Beweis gestellt hat, bedarf keiner weiteren Erörterung, weil ein allfälliger Mangel, wie der Kläger grundsätzlich nicht bestreitet, für die Beklagten selbst jedenfalls nicht erkennbar war.

 

In einem solchen Fall gilt der Entlastungsbeweis als erbracht, wenn der Besitzer einen Fachmann mit der periodischen Überprüfung betraut und erkennbare Mängel beheben hat lassen. Dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Auch auf § 1319 ABGB kann der Kläger demnach seine Ansprüche nicht stützen.