OGH: Zur Zulässigkeit privatrechtlichen Handelns einer Gemeinde iZm der Erfüllung von hoheitlichen Vollzugsaufgaben (hier: Änderung eines Flächenwidmungsplans nach dem TROG 2006 mit Abschluss eines privatrechtlichen Verzichtsvertrags)
Gemeinden, die Flächen umwidmen, dürfen hoheitliche Entscheidungen nicht von Vereinbarungen mit Parteien abhängig machen
§ 879 ABGB, Art 18 B-VG, TROG
GZ 3 Ob 181/12g, 23.01.2013
Die Mitglieder des Gemeindevorstands der Beklagten kamen - aus der Erwägung, dass die Umwidmung eine massive Aufwertung des Grundstücks des Klägers bewirken würde - dahin überein, als reine Vorsichtsmaßnahme vor einer Umwidmung vom Kläger eine eidesstättige Erklärung zu verlangen, wonach er im Fall des Auftretens von Problemen bezüglich der Beschaffenheit dieses Grundstücks keine Ansprüche an die Gemeinde stellen werde, womit sich der Kläger einverstanden erklärte. Sodann verfasste ein Rechtsanwalt diese Erklärung, die der Kläger am 10. Juni 2008 notariell beglaubigt unterzeichnete und dem Bürgermeister der Beklagten übergab. Darin erklärte der Kläger, für den Fall, dass die Beklagte dieses Grundstück als Bauland widme, auf jedwede Ansprüche gegenüber der Beklagten, sei es aus dem Titel des Schadenersatzes oder sonst wie immer, die Beschaffenheit und den Untergrund dieser Parzelle betreffend für sich und seine Rechtsnachfolger im Besitz des Grundstücks zu verzichten und verpflichtete sich, die Beklagte, sollte sie dennoch von wem auch immer aus der Beschaffenheit dieses Grundstücks in Anspruch genommen werden, schad- und klaglos zu halten, sowie die Verpflichtung zur Schad- und Klagloshaltung auch auf Rechtsnachfolger im Eigentum des Grundstücks zu überbinden.
OGH: In der Entscheidung GZ 2 Ob 511/95 hat der OGH folgenden Rechtssatz gebildet: Wenn die Privatwirtschaftsverwaltung gewählt wird, um der materiell gegebenen öffentlich-rechtlichen Bindung zu entgehen, so liegt Missbrauch der Form und daher ein essentieller Verstoß gegen die Grundsätze des Rechtsstaats vor, der gem § 879 Abs 1 ABGB zur Nichtigkeit der privatrechtlich getroffenen Vereinbarungen führt. Weiters wurde schon ausgesprochen, dass ein Vertrag, der gegen das Gebot hoheitlichen Handelns verstößt, nach § 879 ABGB als nichtig zu beurteilen ist, dass eine Gemeinde Vollzugsaufgaben (nach dem OöROG) keinesfalls zum Gegenstand privatrechtlicher Vereinbarungen machen darf und dass das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG nicht unter dem Gesichtspunkt des Vor- oder Nachteils Einzelner gesehen werden kann; ebenso, dass es keinen Unterschied macht, von wem die Initiative zur privatrechtlichen Vereinbarung ausgegangen ist. Diese Judikatur des OGH blieb - soweit überblickbar - in der Lehre unbeanstandet.
Es entspricht schließlich stRsp, dass keine generelle Wahlfreiheit zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Handlungsformen besteht, jedenfalls dort nicht, wo der Gesetzgeber zu erkennen gibt, dass die hoheitliche Gestaltung zwingend ist.
Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts weicht von den Leitlinien dieser Judikatur nicht ab.
Auch die Beklagte bezweifelt nicht, dass eine Umwidmung, also die Änderung eines Flächenwidmungsplans nach dem TROG 2006, zu den hoheitlichen Vollzugsaufgaben der beklagten Gemeinde zählt. Deshalb bestand in diesem Rahmen kein Spielraum für privatrechtliches Handeln, sofern nicht eine gesetzliche Regelung eine Grundlage dafür bot (§ 18 B-VG).
Die Beklagte hat aber - unstrittig - als Voraussetzung für die Umwidmung vom Kläger den Abschluss des Verzichtsvertrags gefordert, der kein gesetzliches Kriterium für die Vornahme der Umwidmung bildet (vgl §§ 36 und 37 TROG 2006 in der im Juni 2008 geltenden Fassung).
Für den vorliegenden Verzichtsvertrag vermag die Beklagte aber eine taugliche Grundlage weder im TROG 2006 zu nennen (dessen § 33 Abs 2 sie in Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ausdrücklich nicht heranzieht) noch in einer anderen Gesetzesbestimmung. Der von ihr bemühte § 9 Abs 5 Tiroler Verkehrsaufschließungsabgabengesetz 2011 (TVAG 2011), der - wie schon der bei Vertragsabschluss geltende § 9 Abs 4 TVAG 1998) - auf privatrechtliche Vereinbarungen eines Abgabenschuldners mit der Gemeinde betreffend Aufwendungen für die Verkehrserschließung Bezug nimmt, lässt zwar die Zulässigkeit von Vereinbarungen dieses Inhalts erkennen; der hier zu beurteilende Verzichtsvertrag steht aber in keinem Zusammenhang mit der Verkehrserschließung und kann schon deshalb keine Grundlage in der genannten gesetzlichen Regelung finden.
Eine Rechtfertigung für die Junktimierung der Umwidmung mit dem Abschluss eines privatrechtlichen Verzichtsvertrags kann auch nicht im von der Beklagten hervorgehobenen Ungleichgewicht (ein Gemeindebürger erhalte den Vorteil des Wertzuwachses aus der Umwidmung, die Gesamtheit aller anderen Bürger habe jedoch mögliche Schadenersatzansprüche gegen die Gemeinde zu tragen) gefunden werden, weil das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG auch unter dem Gesichtspunkt des Vor- oder Nachteils Einzelner nicht vernachlässigt werden darf. Im Übrigen bedeutet der Nichtabschluss eines Verzichtsvertrags keineswegs zwingend, dass die Beklagte Schadenersatz- oder sonstige Ansprüche, die Beschaffenheit und den Untergrund des umgewidmeten Grundstücks betreffend, zu erfüllen haben wird.
Zusammengefasst hat die beklagte Gemeinde die Ausübung ihrer hoheitlichen Vollzugsaufgaben bei der Umsetzung des TROG 2006 (Prüfung der gesetzlich dafür normierten Voraussetzungen) in einer gegen das Legalitätsprinzip des Art 18 B-VG verstoßenden Weise vom Zustandekommen einer privatrechtlichen Vereinbarung mit dem Umwidmungswerber abhängig gemacht. Dieses gesetzwidrige Vorgehen der Beklagten bei der streitgegenständlichen Umwidmung zur Erreichung des nunmehr angefochtenen Verzichtsvertrags mit dem Kläger erfüllt den Tatbestand des § 879 Abs 1 ABGB und hat deshalb dessen Nichtigkeit zur Folge.
Abgesehen von diesen Überlegungen zeigt schon der Umstand der nachträglichen Feststellung einer Kontaminierung des umgewidmeten Grundstücks durch Müll, dass eine zweifellos zu den hoheitlichen Aufgaben der beklagten Gemeinde zählende Prüfung der Eignung der Grundfläche zur Bebauung ua im Hinblick auf Bodenbelastungen (vgl § 37 Abs 1 lit b TROG 2006) nicht in ausreichendem Maß erfolgt ist. Das musste aber angesichts der Ausführungen des Erstgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung, die späteren Grabungen zur Verwirklichung des Bauprojekts seien in einem anderen Bereich der Grundfläche vorgenommen worden, als die Probegrabungen, woraus sich deren unzureichende Aussagekraft nahezu zwingend ergibt, schon vorweg in Betracht gezogen werden. Wirtschaftlich betrachtet stellt daher die getroffene Verzichtsvereinbarung eine Überwälzung der von der Beklagten zu tragenden Kosten weiterer Untersuchungen (zB durch ein teures bodenmechanisches Gutachten) auf den Kläger in dieser Form dar, dass er das finanzielle Risiko allfälliger Ersatzansprüche gegen die Beklagte aus dieser Unterlassung zu tragen hat. Auch eine solche Überwälzung ist aber im TROG 2006 nicht vorgesehen, weshalb der darauf gerichtete zivilrechtliche Vertragsschluss der Streitteile gesetzwidrig war und seine Nichtigkeit zur Folge hat.
Den weiteren, vom Berufungsgericht erblickten und von der Beklagten verneinten Gründen für eine Gesetzwidrigkeit des Verzichtsvertrags nach § 879 Abs 1 ABGB kommt somit keine präjudizielle Bedeutung zu, weshalb sich eine Auseinandersetzung damit erübrigt.
Das in den materiell-rechtlichen Bestimmungen der §§ 879 Abs 1 (und 870 ff) ABGB wurzelnde Klagebegehren bedarf nicht des Nachweises eines besonderen rechtlichen Interesses des Klägers.