OGH: Geschädigter Anleger – Feststellungsklage trotz möglicher Leistungsklage?
Ein Feststellungsinteresse in Anlegerschadensfällen ist nicht immer zu verneinen; es sind durchaus Fallkonstellationen denkbar, in denen eine „Naturalrestitution“ als untunlich beurteilt werden muss, beispielsweise wenn es um komplexe Finanzprodukte mit mehreren Vertragspartnern geht; ein Feststellungsinteresse ist auch immer dann zuzubilligen, wenn nach dem Sachverhalt konkrete zukünftige, mit einer Leistungsklage nicht erfassbare Schäden zumindest nicht ausgeschlossen sind
§§ 1295 ff ABGB, § 228 ZPO, § 226 ZPO, § 1323 ABGB
GZ 8 Ob 39/12m, 24.10.2012
OGH: Nach stRsp steht einem schuldhaft fehlberatenen Erwerber eines in Wahrheit nicht gewollten Anlageprodukts der Anspruch zu, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn ihn der Anlageberater pflichtgemäß aufgeklärt hätte. Hätte der Anleger in diesem Fall das Finanzprodukt nicht gekauft, kann er den rechnerischen Schaden ersetzt verlangen, der sich aus dem Stand seines Vermögens nach der Fehlberatung und dem hypothetischen Stand bei richtiger Beratung (allenfalls, sofern geltend gemacht, unter Berücksichtigung der Wertentwicklung einer Alternativanlage) ergibt.
Entschließt sich der Geschädigte, die unerwünschte Anlage vorläufig noch zu behalten, besteht ein vereinfacht als „Naturalrestitution“ bezeichneter Anspruch, der auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen einen Bereicherungsausgleich durch Übertragung des noch vorhandenen Finanzprodukts an den Schädiger gerichtet ist. Da der Schaden des Anlegers bereits im Erwerb des ungewollten Finanzprodukts lag, ist der Ersatzanspruch grundsätzlich nicht von dessen späterer Kursentwicklung abhängig, die Herausgabe der Wertpapiere ist nur eine Form des Bereicherungsausgleichs.
Diese Variante des Leistungsbegehrens steht auch gegenüber dem bloßen Anlageberater zu, von dem die Finanzprodukte nicht erworben wurden. In der im vorliegenden Verfahren zu beurteilenden Konstellation eines vereitelten Verkaufs ist ebensowenig ein Grund ersichtlich, der Geschädigten diesen Anspruch gegen den Berater zu verweigern. Dem Argument des Berufungsgerichts, es würde dadurch eine Lage hergestellt, die vor der Fehlberatung nie bestanden habe, ist entgegenzuhalten, dass die Klägerin genau in jenen Vermögensstand versetzt würde, in dem sie sich nach den Feststellungen ohne die strittige Beratung befunden hätte. Auf die Lage des Ersatzpflichtigen, die sich durch den Schadenersatz zwangsläufig verschlechtert, kommt es nicht an.
Jede Feststellungsklage erfordert nach § 228 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen gerichtlichen Feststellung eines Rechtsverhältnisses oder Rechts und eine tatsächliche Gefährdung der Rechtssphäre des Klägers, diese Voraussetzung ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Der OGH bejaht in stRsp ein Feststellungsinteresse schon dann, wenn nur die Möglichkeit offen bleibt, dass das schädigende Ereignis den Eintritt eines künftigen Schadens verursachen könnte.
Das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung wird hingegen dann verneint, wenn dem Kläger entweder ein einfacherer Weg zur Erreichung desselben Ziels zur Verfügung steht, oder wenn er bereits die Möglichkeit hat, weitergehenden Rechtsschutz zu erhalten („Subsidiarität der Feststellungsklage“). Regelmäßig verneint wird das Feststellungsinteresse, wenn der Kläger seinen Anspruch bereits zur Gänze mit Leistungsklage geltend machen kann, die Möglichkeit der Leistungsklage verdrängt bei gleichem Rechtsschutzeffekt die Feststellungsklag.
Vom Geschädigten wird auch verlangt, zur Ermittlung der Schadenshöhe naheliegende und zweckmäßige Maßnahmen zu ergreifen, um auf diese Weise die Voraussetzungen für die Schadensbezifferung in einer Leistungsklage zu schaffen.
Die ältere Rsp des OGH hat in Anlegerschadensfällen ein Feststellungsinteresse des Klägers dann bejaht, wenn er das erworbene Anlageprodukt noch nicht veräußert hatte und weder rechnerischen Geldersatz noch „Naturalrestitution“ in Form einer beidseitigen Rückabwicklung begehrt hat, weil der Ersatzanspruch vor der Realisierung nicht beziffert werden könne.
Diese Rsp, die praktisch von einem unbeschränkten Wahlrecht zwischen Leistungs- und Feststellungsbegehren ausging, ist im Wesentlichen als überholt zu betrachten. In den Folgejahren hat der OGH - dem Grundsatz der Subsidiarität des Feststellungsbegehrens folgend - die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens des Anlegers dann verneint, wenn ihm die Möglichkeit einer Leistungsklage offenstand.
Diese Auffassung entspricht der stRsp zum Anwendungsbereich des § 228 ZPO. Sie verhindert auch, dass der geschädigte Anleger durch die Wahl des für ihn günstigsten Verkaufszeitpunkts auf dem Rücken des Schädigers „spekulieren“ kann. Die zuletzt von Klicka, angemeldeten Zweifel an diesem Argument sprechen jedenfalls nicht gegen eine Subsidiarität der bloßen Feststellungsklage. Zwar profitiert der Schädiger davon, wenn der Wert der gehaltenen Anlage wieder steigt, dieser Effekt tritt aber auch im Fall einer Klage auf „Naturalrestitution“ mit einem Zug-um-Zug-Begehren ein. Auch hier erhält der verurteilte Schädiger bei Erfüllung des Zahlungsbegehrens wertvoller gewordene Papiere, aus denen er seinen Aufwand refinanzieren kann.
Problematisch ist außerdem der gegenteilige Fall eines weiteren Absinkens des Werts der Papiere, das sich durch Hinauszögerung der realen Schadensabwicklung (und nichts anderes bewirkt die Feststellungsklage) immer stärker zu Lasten des Schädigers auswirkt. Ein spekulatives Behalten der Papiere durch den Anleger beruht ab dem Zeitpunkt, an dem er die Fehlberatung erkennen konnte (zuzüglich einer angemessenen Reaktionszeit), auf seinem eigenen, freien Entschluss. Ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen dem ursprünglichen Beratungsfehler und einem nach dessen Erkennen eingetretenen weiteren Wertverlust ist nicht mehr evident; dem Einwand des Verkaufs zur Unzeit kann mit einem Zug-um-Zug-Leistungsbegehren begegnet werden.
Für ein primäres Feststellungsinteresse spricht auch nicht das allfällige Bedürfnis des Anlegers, die Anlage zu behalten, um sich mit ihrer allfälligen Wertsteigerung gegen das Risiko der Uneinbringlichkeit des Geldersatzes abzusichern. Gerade eine solche Befürchtung kann bei handelbaren Anlageformen nur als Argument für eine auf „Naturalrestitution“ gerichtete Klage gelten, weil der Kläger aufgrund der Zug-um-Zug-Verpflichtung sein Anlageprodukt ohnedies zurückbehalten kann, bis das Urteil tatsächlich erfüllt wird. Ist der Beklagte zur Zahlung nicht in der Lage, bleiben die Papiere dem Anleger weiterhin erhalten, nicht anders, als wenn er nur ein Feststellungsurteil erlangt hätte. Darüber hinaus steht es ihm aber jederzeit frei, ob und wann er von seinem Leistungstitel Gebrauch machen will.
Aus diesen Überlegungen folgt nicht, dass ein Feststellungsinteresse in Anlegerschadensfällen immer zu verneinen wäre. Es sind durchaus Fallkonstellationen denkbar, in denen eine „Naturalrestitution“ als untunlich beurteilt werden muss, beispielsweise wenn es um komplexe Finanzprodukte mit mehreren Vertragspartnern geht. Ein Feststellungsinteresse ist auch immer dann zuzubilligen, wenn nach dem Sachverhalt konkrete zukünftige, mit einer Leistungsklage nicht erfassbare Schäden zumindest nicht ausgeschlossen sind.
Jedenfalls ist aber Voraussetzung dafür, dass die klagende Partei ihr Feststellungsinteresse begründet und darlegt, weshalb ihr die an sich mögliche Leistungsklage im konkreten Fall nicht zumutbar ist, oder welche derzeit noch nicht bekannten künftigen Schäden ihr aus dem Anlassfall erwachsen könnten.
Ein diesen Anforderungen entsprechendes Vorbringen hat die Klägerin nicht erstattet. Sie hat im Gegenteil eine Leistungsklage erhoben und damit unzweifelhaft klargestellt, dass sie zur Bezifferung ihres Begehrens willens und in der Lage ist. Die auf unterschiedliche Beträge lautenden Eventualbegehren waren nicht Ausdruck einer mangelnden Berechenbarkeit des Schadens, sondern gründeten auf der rechtlichen Überlegung, dass sich die schädigende Beratung über längere Zeit hingezogen hat und dadurch mehrere Stichtage für den Schadenseintritt in Frage kamen.
Ihr Feststellungsbegehren hat sie nicht zusätzlich zum Zahlungsbegehren erhoben, sondern ausdrücklich nur alternativ, als Eventualbegehren für den Fall, dass ihrem primären Leistungsbegehren nicht stattgegeben werden sollte. Weder hat sie sich auf den Ertrag einer allfälligen Alternativanlage bezogen, noch macht sie andere mögliche zukünftige Schäden geltend, die mit den Leistungsbegehren nicht abgedeckt wären. Es ist ihr damit nicht gelungen, ein rechtliches Interesse iSd § 228 ZPO darzutun, sodass es bei der Subsidiarität des Feststellungsbegehrens bleiben muss.
Maßgeblicher Entscheidungszeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Zu diesem Zeitpunkt wäre das Feststellungsbegehren der Klägerin wegen des Fehlens des rechtlichen Interesses abzuweisen gewesen. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, die Abweisung des auf Leistung gerichteten Haupt- und Eventualbegehrens zu bekämpfen.
Das Fehlen des Feststellungsinteresses ist in jeder Lage des Verfahrens, erforderlichenfalls auch von Amts wegen, aufzugreifen. Da die Abweisung der Leistungsbegehren bereits unbekämpft in Rechtskraft erwachsen ist, muss die Klage im Ergebnis zur Gänze abgewiesen werden.