OGH: Übertragung der Obsorge
Natürlich soll (mündigen) Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen ihren erklärten Willen aufgezwungen werden; allerdings ist der Wunsch des Kindes nicht allein entscheidend, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder seiner Berücksichtigung das Wohl des Kindes entgegen steht
§ 176 ABGB aF, § 176b ABGB aF, § 181 ABGB nF, § 182 ABGB nF
GZ 3 Ob 38/13d, 13.03.2013
OGH: Bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ist ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind. Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten. Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt, dass die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt worden sind oder die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden; ob dies zutrifft hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Wenn die Vorinstanzen von einer objektiven, aber ganz massiven Gefährdung der Interessen der Kinder durch die Mutter ausgingen, die die Unterbringung der Kinder beim Vater rechtfertigt, weil dafür eine positive Zukunftsprognose gestellt wurde, kann darin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkannt werden.
Dem mit dem Hinweis, sie habe die Kinder seit deren Geburt betreut und erzogen, verbundenen Vorwurf, die Übertragung der Obsorge an den Vater verletze den Grundsatz der Kontinuität der Pflege und Erziehung, ist zu entgegnen, dass dieser Grundsatz nicht um seiner selbst Willen aufrecht erhalten werden darf und nicht das einzige, sondern nur ein zusätzliches Argument bei der Obsorgeentscheidung darstellt. Nach den Feststellungen erfordert aber gerade die Erziehungsunfähigkeit der Mutter den Wechsel der Kinder zum Vater.
Natürlich soll (mündigen) Minderjährigen die Obsorge durch einen Elternteil möglichst nicht gegen ihren erklärten Willen aufgezwungen werden; allerdings ist der Wunsch des Kindes nicht allein entscheidend, wenn schwerwiegende Gründe dagegen sprechen oder seiner Berücksichtigung das Wohl des Kindes entgegen steht. Die Vorinstanzen haben den Wunsch der im Zeitpunkt der Entscheidung der ersten Instanz bereits 13- und 11-jährigen Kinder, in Obsorge der Mutter zu bleiben, keineswegs unberücksichtigt gelassen, sondern in deren Verbleib bei der Mutter wegen ihrer Erziehungsunfähigkeit und der deshalb zu befürchtenden starken Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit und Entwicklung der Kinder eine massive Gefährdung deren Wohls erblickt. Wenn sich die Vorinstanzen unter diesen Umständen dazu entschlossen, dem Wunsch der Kinder keine entscheidende Bedeutung beizumessen, liegt darin keinesfalls eine unvertretbare Rechtsansicht.