OGH: Grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht gem § 22 UVG iVm § 21 UVG – zur Frage, ab welchem Zeitpunkt ein bloß vorübergehend beabsichtigter, sich in der Folge jedoch als dauerhaft erweisender Aufenthalt der Kinder beim Unterhaltspflichtigen zur Annahme eines „Lebens im gemeinsamen Haushalt“ iSd § 2 Abs 2 Z 1 UVG führt
Ist die Frage, ob eine Sachlage die Annahme grober Fahrlässigkeit iSd § 22 UVG impliziert, jeweils nur an Hand der Umstände des Einzelfalls beurteilbar, kann nicht gesagt werden, die anfängliche Unklarheit über die Dauer des gemeinsamen Haushalts spiele generell für die Frage der Beurteilung grober Fahrlässigkeit keine Rolle; andererseits sind aber auch abstrakte Aussagen dazu nicht möglich, ab welchem Zeitpunkt die Nichtbekanntgabe eines vorerst bloß vorübergehend beabsichtigten, sich in der Folge jedoch als dauerhaft erweisenden Aufenthalts der Kinder beim Unterhaltspflichtigen eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht begründet
§ 2 UVG, § 21 UVG, § 22 UVG
GZ 10 Ob 40/12y, 17.12.2012
OGH: Gem § 2 Abs 2 Z 1 UVG ist der Vorschussanspruch ausgeschlossen, wenn das Kind mit dem Unterhaltsschuldner im gemeinsamen Haushalt lebt. Ein gemeinsamer Haushalt des Kindes mit dem Unterhaltsschuldner liegt jedenfalls vor, wenn dieser in derselben Wohnung wie das Kind wohnt, in die Wohngemeinschaft eingebunden ist und am Familienleben in einem Ausmaß teilnimmt, wie dies im Allgemeinen bei intakten Familien üblich ist. Bloße Besuche des Vaters bei seinen Kindern erfüllen den Tatbestand des Lebens im gemeinsamen Haushalt nicht.
Der Versagungsgrund des gemeinsamen Haushalts wurde aufgrund des Berichts des Justizausschusses (JA 199 BlgNR XIV GP, 5) aufgenommen, um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Unterhaltsvorschüsse vorzubeugen. Diese Gefahr besteht ua etwa dann, wenn das Kind sowohl vom Unterhaltsschuldner als auch vom Staat, also doppelt, Unterhaltsleistungen bezieht.
Gem § 21 UVG haben der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner dem Gericht unverzüglich den Eintritt jedes Grundes für die Herabsetzung oder Einstellung der Vorschüsse mitzuteilen.
Das Gericht soll von allen auf eine Herabsetzung oder Einstellung von Vorschüssen einflusshabenden Umständen frühzeitig und rechtzeitig in Kenntnis gesetzt werden, um Übergenüsse gar nicht entstehen zu lassen. „Unverzüglich“ iSd § 21 UVG bedeutet, dass ohne jeglichen unnötigen Aufschub - uU sogar innerhalb weniger Tage - die Mitteilung an das Gericht zu erfolgen hat, wobei es nicht ausreicht, sich auf eine Mitteilungspflicht anderer Stellen oder Personen zu verlassen. § 21 UVG soll das Interesse des unterhaltsvorschießenden Bundes nach ungefragter Information über den Eintritt anspruchsverändernder Tatsachen sicherstellen.
Für Vorschüsse, die … entgegen einer Herabsetzung oder Einstellung zu Unrecht gezahlt und nicht nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz einbehalten worden sind, haften gem § 22 UVG der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner zur ungeteilten Hand, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse … durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst oder die Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes verbraucht hat.
Dass die Begründung eines gemeinsamen Haushalts zwischen dem Revisionsrekurswerber als Unterhaltsverpflichtetem und den Kindern an sich ein gem § 21 UVG meldepflichtiger Umstand ist, wird im Revisionsrekurs nicht in Frage gestellt. Der Revisionsrekurswerber wendet sich aber gegen die Ansicht der Vorinstanzen, ungeachtet seines Vorbringens zur anfänglich nur vorübergehenden Dauer des Aufenthalts der Kinder bei ihm und trotz Bekanntgabe des gemeinsamen Haushalts vom 8. 2. 2011, sei ihm eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht zur Last zu legen.
Nach stRsp liegt grobe Fahrlässigkeit dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt. Insbesondere dürfen die Sorgfaltspflichten nicht überspannt werden. Im allgemeinen und gebräuchlichen Sinn kann grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung der Mitteilungspflicht nur angenommen werden, wenn (auch für einen einfachen Menschen) die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs einsichtig ist und von ihm daher eine Bekanntgabe an das Gericht erwartet werden kann, etwa weil es plötzlich zu einer Überalimentation aufgrund von Mehrbezug gleichgelagerter staatlicher Geldleistungen kommt. Eine solche Gewissheit muss aber beim Unterhaltsschuldner trotz Erhalts einer deutlichen Rechtsbelehrung nicht immer gegeben sein. Die mit dem Gewährungsbeschluss erteilte Rechtsbelehrung reicht somit allein nicht aus, jedenfalls grobe Fahrlässigkeit bei Verletzung der Mitteilungspflicht zu begründen. Es kommt vielmehr auch darauf an, ob dem Ersatzpflichtigen die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs des Vorschusses einsichtig ist.
Bedeutet daher eine objektive Verletzung der Mitteilungspflicht nicht immer, dass sie auch subjektiv schwer vorwerfbar ist, sind zur Beurteilung grober Fahrlässigkeit jeweils die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. So wurde etwa bei Verhängung der Untersuchungshaft über den Unterhaltsvorschussberechtigten die nicht unmittelbar nach dessen Verhaftung vorgenommene Bekanntgabe nicht als grobes Verschulden qualifiziert, weil nicht nur die Dauer sondern auch die Relevanz der Untersuchungshaft für das Recht auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zunächst ungewiss sind.
Ist die Frage, ob eine Sachlage die Annahme grober Fahrlässigkeit iSd § 22 UVG impliziert, jeweils nur an Hand der Umstände des Einzelfalls beurteilbar, kann nicht gesagt werden, die anfängliche Unklarheit über die Dauer des gemeinsamen Haushalts spiele generell für die Frage der Beurteilung grober Fahrlässigkeit keine Rolle. Andererseits sind aber auch abstrakte Aussagen dazu nicht möglich, ab welchem Zeitpunkt die Nichtbekanntgabe eines vorerst bloß vorübergehend beabsichtigten, sich in der Folge jedoch als dauerhaft erweisenden Aufenthalts der Kinder beim Unterhaltspflichtigen eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht begründet.
Unter diesem Aspekt fehlen im vorliegenden Fall für die Frage, ob dem Vater die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Bezugs der Vorschüsse für Jänner und Februar 2011 einsichtig war, wesentliche Feststellungen:
Der Rechtsmittelwerber hat bereits vor dem Erstgericht geltend gemacht, dass der Aufenthalt der Kinder in seinem Haushalt nur vorübergehend beabsichtigt war und dazu bekanntgegeben, dass die Wohnung der Mutter am 25. 12. 2010 „abgebrannt“ sei und sich die Mutter dann seit 30. 1. 2011 wegen psychischer Probleme in stationärer Behandlung des Landeskrankenhauses Wagner Jauregg befunden habe. Dennoch hat das Erstgericht zu diesem Vorbringen und den sich daraus für den Rechtsmittelwerber ersichtlichen bzw abschätzbaren Konsequenzen auf die voraussichtliche Aufenthaltsdauer der Kinder in seinem Haushalt keine konkreten Feststellungen getroffen. Derartige Feststellungen sind aber zur Qualifizierung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit erforderlich, um beurteilen zu können, ab welchem Zeitpunkt es für den Vater klar absehbar war, dass es sich nicht nur um ein vorübergehendes Belassen der Kinder in seinem Haushalt handelt, das den Rahmen eines Besuchs nicht überschreitet, sondern die Anwesenheit der Kinder einen der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG unterliegenden gemeinsamen Haushalt darstellt und die Unrechtmäßigkeit des Bezugs für ihn erkennbar wurde. So macht es einen Unterschied, ob der Vater damit rechnen konnte, die Wohnung werde nach Beseitigung der Folgen des Wohnungsbrandes den Kindern in Kürze wieder zur Verfügung stehen oder ob ihm (allenfalls ab wann) bekannt war, dass die Wohnung gänzlich unbenützbar geworden war, die Wiederherstellung Wochen oder gar Monate in Anspruch nehmen werde und in dieser Zeit eine andere Unterkunftsmöglichkeit für die Kinder nicht vorhanden ist. Da die Mutter nach dem bisherigen Vorbringen erst ab dem 30. 1. 2011 wegen Depressionen in stationärer Behandlung stand, werden auch zu diesem Thema die für eine etwaige Rückersatzpflicht des Vaters relevanten Feststellungen zu treffen sein. Erst dann wird abschließend beurteilbar sein, ob und allenfalls wann dem Vater die hohe Wahrscheinlichkeit der Unrechtmäßigkeit des Weiterbezugs der Unterhaltsvorschüsse dem Vater einsichtig sein musste und von ihm daher eine Bekanntgabe an das Gericht erwartet werden konnte.
Wie allgemein im bürgerlichen Recht trifft die Beweislast bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit denjenigen, der sich für den Rückersatz darauf beruft, also den Bund; es ist also kein Entlastungsbeweis durch die in Anspruch genommene Person zu erbringen.
Was die Rückforderung für den Monat Jänner 2011 betrifft, wird im fortzusetzenden Verfahren weiters darauf Bedacht zu nehmen sein, dass gem § 17 Abs 1 UVG die Vorschüsse jeweils am Ersten eines jeden Monats im Voraus auszuzahlen sind und somit die Auszahlung nur dann zu verhindern gewesen wäre, wenn eine Mitteilung über die ab dem 25. 12. 2010 gegebene Anwesenheit der Kinder beim Revisionsrekurswerber noch vor Beginn des Monats Jänner 2011 beim Erstgericht eingelangt wäre. Grobe Fahrlässigkeit kann sich auch nur auf einen Teilbetrag beziehen bzw kann auch nur in Bezug auf bestimmte Monate des Vorschussbezugs fehlen.