OGH: Versehrtenrente – Neufeststellung der Rente gem § 183 ASVG
Eine „wesentliche Änderung der Verhältnisse“ iSd § 183 Abs 1 ASVG kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sein; ein allfälliger Rechtsirrtum des Klägers stellt jedoch keine Änderung der für das in Rechtskraft erwachsene Urteil im Vorverfahren maßgebenden Rechtslage dar; eine früher unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit kann nicht im Wege des § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden
§ 183 ASVG, § 203 ASVG, § 175 ASVG
GZ 10 ObS 145/12i, 23.10.2012
OGH: Gem § 183 Abs 1 ASVG hat der Träger der Unfallversicherung bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend waren, auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gilt eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 vH geändert wird, durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1 ASVG) oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4 ASVG). Eine „wesentliche Änderung der Verhältnisse“ iSd § 183 Abs 1 ASVG kann eine wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse sein. Eine Änderung der Rechtslage (zB zwischenzeitiges Inkrafttreten eines AbkSozSi) liegt nicht vor und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (im Tatsächlichen) eingetreten ist, ist der Tatsachenkomplex heranzuziehen, der jener Entscheidung zugrunde lag, deren Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer Neufeststellung der Rente im Wege stünde.
Die Bestimmung des § 183 Abs 1 ASVG hängt unmittelbar mit der Rechtskraft von Bescheiden im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung zusammen. Es werden in dieser Norm bestimmte Voraussetzungen statuiert, unter denen die Rechtskraft von Bescheiden innerhalb von bestimmten Grenzen ihre Wirksamkeit verliert, wobei sich § 183 Abs 1 ASVG nicht nur auf durch Bescheid der Unfallversicherungsträger festgestellte Renten bezieht, sondern auch dann anzuwenden ist, wenn ein Urteil oder Vergleich im gerichtlichen Verfahren den Rechtsgrund der Rente bildet. In Ermangelung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gem § 183 Abs 1 ASVG steht somit die Rechtskraft der Vor-Entscheidung (Bescheid, Urteil, Vergleich) einer Neubemessung im Wege.
Somit kann auch eine früher unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht im Wege des § 183 Abs 1 ASVG korrigiert werden. Dies gilt nicht nur dann, wenn die MdE in der früheren Entscheidung zu hoch eingeschätzt wurde, sondern auch im Falle einer zu niedrigen Einschätzung. Eine unrichtige Einschätzung der MdE in der rechtskräftigen Vorentscheidung bildet keinen Anlass für eine Neueinschätzung, sondern könnte nur dann von Bedeutung sein, wenn eine Besserung oder Verschlechterung des Zustands eingetreten wäre.
Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Änderung des Tatsachenkomplexes vorliegt, der für die (letzte) Feststellung der Rente maßgebend war, sind die Verhältnisse, die der früheren Entscheidung zugrundelagen, mit denen zu vergleichen, die zum nunmehr maßgeblichen Datum gegeben sind.
In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen der Rsp legten die Vorinstanzen ihren Entscheidungen zugrunde, dass ein Vergleich zwischen den Verhältnissen seit Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren und dem Zeitpunkt der nunmehrigen Antragstellung keine wesentliche Änderung im Tatsächlichen erbracht hat und mangels wesentlicher Änderung der objektiven Grundlagen der Entscheidung die Rechtskraft der Entscheidung im Vorverfahren der Gewährung der Rente entgegensteht. Die unrichtige Einschätzung der MdE in der Vorentscheidung wäre nur bei einer seit der Entscheidung im Vorverfahren eingetretenen Änderung im Hörvermögen maßgeblich, von der der Kläger in seiner Revisionsschrift aber selbst nicht ausgeht.
Wie bereits ausgeführt, kann eine „wesentliche Änderung der Verhältnisse“ iSd § 183 Abs 1 ASVG auch eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse sein. Eine Änderung der Rechtslage (zB zwischenzeitiges Inkrafttreten eines AbkSozSi) liegt nicht vor und wird auch vom Kläger nicht behauptet. Ein allfälliger Rechtsirrtum des Klägers stellt jedoch keine Änderung der für das in Rechtskraft erwachsene Urteil im Vorverfahren maßgebenden Rechtslage dar. Keine maßgebliche Bedeutung kommt daher dem Umstand zu, dass der Kläger die im Vorverfahren ergangene Entscheidung unbekämpft ließ, mittlerweile aber zur Ansicht gelangt ist, ein gegen diese Entscheidung eingebrachtes Rechtsmittel wäre im Hinblick auf Art 17 und 18 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Jugoslawien über die Soziale Sicherheit BGBl III 2002/100 erfolgreich gewesen.
Nach stRsp hat das Gericht im Verfahren über die Neubemessung oder Entziehung einer Leistung unabhängig von den im Zuerkennungsverfahren vom Sozialversicherungsträger allenfalls getroffenen Feststellungen eigene Feststellungen über die maßgeblichen Zustände im Zuerkennungszeitpunkt zu treffen. Dies erklärt sich daraus, dass sich die materielle Rechtskraft auf die Sachlage bezieht, wie sie im Zeitpunkt der Entscheidung objektiv vorlag, nicht jedoch auf den Sachverhalt, den der Unfallversicherungsträger seiner Entscheidung zugrunde legte. Es kommt also nicht darauf an, von welchen Verhältnissen der Unfallversicherungsträger ausgegangen ist, was also bei Erlassung des Bescheids subjektiv für ihn maßgeblich war.