OGH: Zur Verschuldenszumessung bei einer Scheidung iZm entschuldbarer Reaktionshandlung
Jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben normal gesitteter Eheleute noch verständlich und entschuldbar sein können und nicht als schwere Eheverfehlungen zu werten wären
§ 49 EheG, § 60 EheG, § 61 EheG
GZ 7 Ob 229/12w, 23.01.2013
OGH: Die Verschuldenszumessung bei einer Scheidung kann in aller Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufwerfen, weil sie von den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängt. Ein überwiegendes Verschulden eines der Ehegatten ist nur dann auszusprechen, wenn der graduelle Unterschied der beiderseitigen Verschuldensanteile augenscheinlich und evident hervortritt und das mindere Verschulden fast völlig in den Hintergrund tritt.
Im vorliegenden Fall gab das Berufungsgericht der allein gegen den Verschuldensausspruch gerichteten Berufung der Revisionswerberin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es hat sich ausführlich mit der Frage des Verschuldensausmaßes auseinandergesetzt und ist zum vertretbaren Ergebnis eines gleichteiligen Verschuldens auf Seite der Beklagten gelangt.
Dazu hat es auf die Rsp verwiesen, wonach eine entschuldbare Reaktionshandlung nur dann in Betracht kommt, wenn sich ein Ehepartner als unmittelbare Folge eines grob ehewidrigen Verhaltens des anderen dazu hinreißen lässt, in einer verständlichen Gemütsbewegung, die die Zurechnung seines Handelns als Verschulden ausschließt, seinerseits Eheverfehlungen zu setzen; während körperliche Misshandlungen nicht als entschuldbare Reaktion angesehen werden können, insbesondere auch nicht gegenüber - wie hier - verbalen Provokationen. Jede körperliche Misshandlung steht außerhalb des Rahmens, in dem Reaktionshandlungen auf vorangegangenes ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten im Zusammenleben normal gesitteter Eheleute noch verständlich und entschuldbar sein können und nicht als schwere Eheverfehlungen zu werten wären.
Die besondere Hervorhebung körperlicher Gewaltakte im Gesetzeswortlaut (§ 49 Satz 2 EheG) bedeutet, dass der Gesetzgeber in dieser Hinsicht einen objektiven, also insbesondere einen von der persönlichen Lebenssituation der Ehegatten unabhängigen Maßstab an das Verhalten der Ehegatten anlegen wollte. Jegliche Gewaltanwendung soll in Ehe und Familie prinzipiell verpönt sein. Die Beeinträchtigung der körperlichen Integrität des Ehegatten in körperlicher und physischer Hinsicht durch den anderen stellt an sich bereits eine sehr schwere Eheverfehlung dar.
Die Beurteilung, dass der Beklagten va in den Jahren 2009 und 2010 „mehr oder weniger regelmäßige körperliche Angriffe“ auf den Kläger vorzuwerfen seien, die auch unter Berücksichtigung seines ehewidrigen Verhaltens grundsätzlich nicht als entschuldbare Reaktionshandlungen gewertet werden könnten, sondern ihrerseits schwere und zerrüttungskausale Eheverfehlungen darstellten, steht mit dieser Judikatur in Einklang und ist daher nicht zu beanstanden.