OGH: Pflichtverletzung iSd § 82 lit f GewO / § 27 Z 4 AngG (hier: Arbeitsunterlassung während Krankenstand)
Das Fernbleiben vom Dienst ist gerechtfertigt, wenn der Dienstnehmer tatsächlich krank und arbeitsunfähig ist; daneben kann eine Pflichtverletzung vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zwar krankgeschrieben ist, aber nicht auf die Richtigkeit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vertrauen darf; dies wäre etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer die ärztliche Bestätigung durch bewusst unrichtige Angaben gegenüber dem Arzt erwirkt hätte; die Pflichtverletzung muss, um eine darauf gestützte Entlassung zu rechtfertigen, schuldhaft erfolgen
§ 82 GewO, § 27 AngG
GZ 9 ObA 6/13t, 29.01.2013
OGH: Ob die Voraussetzungen für eine gerechtfertigte Entlassung vorliegen, kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Die Entscheidung des Berufungsgerichts lässt auch keine unvertretbare und deshalb korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen:
Nach den Feststellungen begab sich der Kläger am 23. 5. 2011 wegen akuter Schmerzen in Behandlung, wurde krankgeschrieben und erhielt die Information, dass er das Knie bis zu der für den 7. 7. 2011 geplanten Meniskusoperation schonen müsse, jedoch grundsätzlich bis zur Schmerzgrenze belasten dürfe. Eine Belastung des Knies vor der Operation verzögert nicht den Heilungsverlauf, dem Patienten entstehen dadurch aber Schmerzen. Am 11. 6. 2011 trug der Kläger etwa 15 Minuten Styrodurplatten von seinem Auto ins Haus, wodurch die Heilung des Knies nicht beeinflusst wurde.
Die Beklagte ist der Ansicht, das Berufungsgericht hätte zu Unrecht nicht ihr Vorbringen und die darauf gestützten Verfahrens- und Feststellungsmängel berücksichtigt, dass einer ihrer Mitarbeiter den Kläger am 3. 6. 2011 trotz Krankenstand gebeten habe, bei einer Arbeit (EDV-Verkabelung) zu helfen, die jedenfalls keinerlei Auswirkungen auf Fuß- oder Rückenschmerzen gehabt hätte. Der Kläger habe dies abgelehnt. Damit zielt die Beklagte offenbar auf die Geltendmachung einer Pflichtverletzung durch den Kläger iSd § 82 lit f GewO ab.
Das Fernbleiben vom Dienst ist gerechtfertigt, wenn der Dienstnehmer tatsächlich krank und arbeitsunfähig ist. Daneben kann eine Pflichtverletzung vorliegen, wenn der Arbeitnehmer zwar krankgeschrieben ist, aber nicht auf die Richtigkeit der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vertrauen darf; dies wäre etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer die ärztliche Bestätigung durch bewusst unrichtige Angaben gegenüber dem Arzt erwirkt hätte. Die Pflichtverletzung muss, um eine darauf gestützte Entlassung zu rechtfertigen, schuldhaft erfolgen. Als Schuldform reicht Fahrlässigkeit aus, doch muss dem Arbeitnehmer bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens erkennbar sein. Lehnt ein Arbeitnehmer eine ihm aufgetragene Arbeit in der irrigen Meinung ab, er sei zu ihrer Durchführung nicht verpflichtet, obliegt ihm der Nachweis, dass er sich über seine Verpflichtung trotz Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt in einem Irrtum befunden habe.
Selbst wenn der Kläger objektiv in der Lage gewesen wäre, die ihm von der Beklagten Anfang Juni aufgetragenen Arbeiten zu verrichten, gehen aus dem festgestellten Sachverhalt keine Umstände hervor, die auf ein entsprechendes Verschulden des Klägers schließen ließen.
Zu der von der Beklagten begehrten Ersatzfeststellung, dass die Kabelverlegungsarbeiten vom Kläger lediglich eine Tätigkeit im Gehen, Stehen bzw Sitzen erfordert hätten, sei im Übrigen nur darauf hingewiesen, dass nach Aussage des Arztes beim Sitzen gerade auch der beim Kläger verletzte hintere Teil des Meniskus belastet worden wäre und ein Patient vor der Operation auch im Stehen nicht arbeitsfähig ist.