28.01.2013 Strafrecht

OGH: Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen – zum Entschädigungsanspruch nach § 7a Abs 1 MedienG

Die Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an der Identitätsbekanntgabe bei wertender Betrachtung als überwiegend anzusehen sei, ist nach den in § 7a Abs 1 zweiter Halbsatz MedienG genannten Gründen („Stellung der Person in der Öffentlichkeit“ - „sonstiger Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“ - „andere Gründe“) in ihrer Gesamtschau einzelfallbezogen zu prüfen


Schlagworte: Medienrecht, Persönlichkeitsschutz, Schutz vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen, Anspruch auf Entschädigung für die erlittene Kränkung, schutzwürdige Interessen
Gesetze:

§ 7a MedienG, Art 8 EMRK, Art 10 EMRK

GZ 15 Os 42/12h, 12.12.2012

 

OGH: Der im Fall konfligierender Grundrechte von der EMRK geforderte faire Ausgleich (vgl Art 10 Abs 2 EMRK) zwischen - hier - dem (auf den Schutz von Persönlichkeitsrechten gerichteten) Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) und dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRK) wird im hier interessierenden Zusammenhang auf innerstaatlicher Ebene durch die von § 7a Abs 1 MedienG - für den Bereich des Schutzes „vor Bekanntgabe der Identität in besonderen Fällen“ - geforderte Abwägung schutzwürdiger Interessen des von der Berichterstattung Betroffenen gegenüber spezifischen Interessen der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung von zur Identifizierung geeigneten Angaben gewährleistet.

 

Der Entschädigungsanspruch nach § 7a Abs 1 (hier: Z 2) MedienG setzt voraus, dass durch eine identifizierende Berichterstattung über eine Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, schutzwürdige Interessen derselben verletzt werden, ohne dass wegen deren Stellung in der Öffentlichkeit, wegen eines sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben oder aus anderen Gründen ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit an der Veröffentlichung dieser Angaben bestanden hat.

 

Damit wird klargestellt, dass sich die durch die bezeichneten spezifischen Sachzusammenhänge begründeten Veröffentlichungsinteressen - gerade auch - auf die Identität des Betroffenen beziehen müssen. Zum einen ist daher das allgemeine öffentliche Interesse an einer sachgerechten Kriminalberichterstattung für sich nicht ausreichend, zum anderen ist demnach eine identifizierende Berichterstattung dann zulässig, wenn und soweit dem Namen oder sonstigen Identitätsmerkmalen der (hier:) Verdächtigen ein eigenständiger Informations- oder Nachrichtenwert zukommt. Dieser Wert muss, um die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung zu begründen, das schutzwürdige Anonymitätsinteresse des Betroffenen überwiegen.

 

Die Rechtsfrage, ob das öffentliche Interesse an der Identitätsbekanntgabe bei wertender Betrachtung als überwiegend anzusehen sei, ist nach den in § 7a Abs 1 zweiter Halbsatz MedienG genannten Gründen („Stellung der Person in der Öffentlichkeit“ - „sonstiger Zusammenhang mit dem öffentlichen Leben“ - „andere Gründe“) in ihrer Gesamtschau einzelfallbezogen zu prüfen.

 

Dabei ist - im Einklang mit der Rsp des EGMR - zunächst von entscheidender Bedeutung, ob der Artikel einen Beitrag zu einer Debatte von allgemeinen Interesse leistet. Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Rolle oder Funktion, die die von der Veröffentlichung betroffene Person („public figure“) innehat.

 

Als weitere Faktoren berücksichtigt der EGMR das Thema des Berichts (ob die Presse darin ihre Funktion als „public watchdog“ ausübt), das Verhalten der Person vor der Veröffentlichung des Berichts, die Methode der Informationsbeschaffung sowie den Wahrheitsgehalt und schließlich Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung.

 

Bei einer Berichterstattung über Fragen von öffentlichem Interesse gibt es nur wenig Spielraum für Einschränkungen der politischen Rede oder von Diskussionen über solche Angelegenheiten. Darunter fallen regelmäßig zB die Berichterstattung über strafrechtlich relevante Missstände in der staatlichen Verwaltung, mutmaßliche Wirtschaftsskandale und politische Delikte. Bei solchen Sachverhalten mit Öffentlichkeitsbezug besteht demgemäß auch ein geringerer Identitätsschutz.

 

Auf den vorliegenden Fall angewandt bedeutet dies, dass sich der in einem lokalen Massenmedium, nämlich der Kärntner „K*****“ geäußerte Verdacht des - in mehrfachen Angriffen insbesondere iZm Auftragsvergaben begangenen - Verbrechens der Untreue gegen eine Person richtete, die Vorstandsdirektorin der Krankenanstalten-Betriebsgesellschaft, einer „sehr großen“ Anstalt öffentlichen Rechts (mit rund 7.500 Mitarbeitern) war, sodass deren Handeln von vornherein erhöhter Aufmerksamkeit und Kritik unterworfen war. Ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung von Identifikationsmerkmalen der Antragstellerin lag wegen des Bestehens eines „sonstigen Zusammenhangs mit dem öffentlichen Leben“ vor, weil durch die inkriminierte Berichterstattung strafrechtlich relevante Missstände bzw Korruptionsvorwürfe (mit möglicherweise sogar politischen Implikationen: Inanspruchnahme einer deutschen Personalberaterin „um teures Geld“ [S 4 des Ersturteils], obwohl schlussendlich bei einer konkreten Stellenausschreibung ohnehin ein Lokalpolitiker zum Zug gekommen sei) im Nahebereich der staatlichen Verwaltung (im weiteren Sinn) aufgezeigt wurden; solcherart steht im vorliegenden Fall außer Streit, dass der Artikel ein Thema von öffentlichem Interesse zum Gegenstand hatte. Zudem enthielt - wovon die vorbefassten Gerichte ausgingen - die anonyme Strafanzeige „konkrete Verdachtsmomente gegen die Vorstandsdirektorin M wegen § 153 StGB“, über die distanziert und sachlich berichtet wurde.

 

Dabei wird nicht verkannt, dass die Nennung von Identifikationsmerkmalen einer Verdächtigen in einem - wie hier - sehr frühen Stadium des Strafverfahrens problematisch sein kann. Doch ist im gegebenen Zusammenhang ausschlaggebend, dass die Antragsgegnerin in concreto nicht über die vorliegende Anzeige in sinnvoller Weise hätte berichten können, ohne die Antragstellerin identifizierende Angaben zu machen.

 

Anders als im Fall Wirtschafts-Trend Zeitschriften VerlagsGmbH gg Österreich (U EGMR 14. 11. 2002 ÖJZ-MRK 2003/6, 155), bei dem die Offenlegung der Identität des beschuldigten Polizeibeamten den im Artikel enthaltenen Informationen über die Abschiebemodalitäten und der Kritik daran nichts von öffentlichem Interesse hinzufügte, war hier die (exponierte) berufliche Stellung der Betroffenen von entscheidender Bedeutung und die bereits durch deren Bekanntgabe bewirkte Offenlegung der Identität der Antragstellerin somit wesentlich für das Verständnis der Einzelheiten des Falls. Wenngleich die weiteren Identifikationsmerkmale des Namens und des Bildes der Antragstellerin für dieses Verständnis per se entbehrlich waren, änderte deren Publikation nichts daran, dass die Bekanntgabe der Identität insgesamt gerechtfertigt war (zur „Unteilbarkeit des Identitätsschutzes“ vgl Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7a Rz 14).

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass an der die Antragstellerin M identifizierenden Berichterstattung über die gegen sie eingebrachte Strafanzeige ein überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit bestanden hat, sodass der Antrag der Genannten auf Zuerkennung einer Entschädigung nach § 7a Abs 1 MedienG hätte abgewiesen werden müssen.