OGH: Ausschluss jenes Richters, der die Zustellung der Anklageschrift verfügte (§ 213 StPO), von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme nach § 43 Abs 4 StPO?
Ein Richter ist nur dann von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme ausgeschlossen, wenn er gerade mit dem davon betroffenen Entscheidungsgegenstand des früheren Verfahrens befasst gewesen ist; die Anordnung der Zustellung der Anklageschrift ist eine vom Gesetz zwingend vorgesehene Verfügung rein formeller Art und keine ermittlungs - oder erkennungsrichterliche Tätigkeit; sie vermag daher bei der hier maßgeblichen inhaltlichen Betrachtungsweise eine Ausgeschlossenheit des Richters nach § 43 Abs 4 StPO nicht zu begründen
§ 43 StPO, § 213 StPO
GZ 12 Os 81/12x, 09.08.2012
OGH: Gem § 43 Abs 4 StPO ist ein Richter ua von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens und von der Mitwirkung und Entscheidung im erneuerten Verfahren ausgeschlossen, wenn er im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist. Dafür reicht - wenngleich der Wortlaut der in Rede stehenden Bestimmung prima facie darauf hinzudeuten scheint - eine Tätigkeit im früheren Verfahren schlechthin nicht aus. Vielmehr ist, wie durch das Wort „bereits“ klargestellt wird (arg: „… im Verfahren bereits als Richter tätig gewesen ist“), der Gegenstand des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Gegenstand der richterlichen Tätigkeit im früheren Verfahren zu vergleichen. Ein Richter ist nur dann von der Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme ausgeschlossen, wenn er gerade mit dem davon betroffenen Entscheidungsgegenstand des früheren Verfahrens befasst gewesen ist. Sinn und Zweck der Ausschlussregelung des § 43 Abs 4 StPO liegt darin, die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag und die Führung des erneuerten Verfahrens einem Richter zu übertragen, der die - dem Wiederaufnahmeverfahren zugrunde liegende - Verdachtslage bislang noch nicht geprüft und noch keine inhaltlichen Entscheidungen dazu getroffen oder an einer Sanktionierung dieses Angeklagten mitgewirkt hat.
Vorliegend hat der Richter, indem er im Verfahren AZ 13 Hv 109/10g des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Zustellung der Anklageschrift verfügte, eine vom Gesetz (§ 213 Abs 1 StPO) zwingend vorgesehene Anordnung getroffen. Dieser Vorgang ist - ungeachtet eines dabei allenfalls vorgenommenen Aktenstudiums - keine ermittlungs- oder erkenntnisrichterliche Tätigkeit, weil die nach einem Verzicht des Angeklagten auf Einspruch gegen die Anklageschrift oder nach Verstreichen der Einspruchsfrist gem § 213 Abs 4 StPO durchzuführende Prüfung der Zuständigkeit durch den Vorsitzenden zu einem späteren Zeitpunkt stattfindet. Als Verfügung rein formeller Art vermag die Zustellung der Anklageschrift bei der hier maßgeblichen inhaltlichen Betrachtungsweise eine Ausgeschlossenheit des genannten Richters nicht zu begründen.