20.08.2012 Wirtschaftsrecht

OGH: Zulässigkeit eines Arzneimittelversandhandels via Internet?

Online-Apotheken aus dem EU-Ausland dürfen nicht rezeptpflichtige Medikamente nach Österreich liefern; der Versandhandel durch österreichische Apotheken bleibt weiter verboten


Schlagworte: Wettbewerbsrecht, Apotheken, unlautere Geschäftspraktiken, Rechtsbruch, Online-Apotheken, Fernabsatz, nicht rezeptpflichtige Medikamente, Werbung
Gesetze:

§ 1 UWG, § 59 AMG, § 11 AWEG, § 50a AMG, § 17 AWEG

GZ 4 Ob 13/12h, 27.03.2012

 

OGH: Ein nationales Verbot des Arzneimittelversandhandels ist nach der EuGH-Entscheidung C-322/01 - DocMorris mit dem Gemeinschaftsrecht soweit vereinbar, als die Arzneimittel im Wohnsitzstaat des Bestellers verschreibungspflichtig sind. Soweit sich das Versandhandelsverbot des Arzneimittelgesetzes auf in Österreich zugelassene, nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel bezieht, widerspricht es dem Gemeinschaftsrecht. Maßgebend ist die Verschreibungspflicht im Staat des Bestellers, nicht in jenem der Absendung.

 

Eine in Österreich nicht rezeptpflichtige Arzneispezialität darf im Inland in üblichen, dem persönlichen Bedarf von Empfängern entsprechenden Mengen im Weg des grenzüberschreitenden Versandhandels aus dem EWR vertrieben werden, wenn sie dort in Verkehr gebracht werden darf und nicht rezeptpflichtig ist; ein solcher Vertrieb darf auch im Internet beworben werden.

 

Ein nationales Werbeverbot für den Versandhandel mit Arzneimitteln, die im betreffenden Mitgliedstaat nur in Apotheken verkauft werden dürfen, steht dem Gemeinschaftsrecht entgegen, soweit dieses Werbeverbot nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel betrifft.

 

Nach geltender Rechtslage ist die Einfuhr oder das Verbringen von Arzneiwaren dosiert oder in Aufmachung für den Kleinverkauf, soweit das AWEG nichts anderes bestimmt, nur zulässig, wenn im Fall der Einfuhr eine Einfuhrbescheinigung ausgestellt wurde (§ 3 Abs 1 AWEG).

 

Arzneispezialitäten dürfen im Inland ua dann ohne Zulassung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen abgegeben werden, wenn eine Einfuhrbescheinigung nach § 5 AWEG vorliegt (§ 7 Abs 1 Z 2 AMG).

 

Einer Einfuhrbescheinigung nach § 5 AWEG bedarf es ua ausnahmsweise nicht für Arzneispezialitäten zur Anwendung am Menschen, die in einer dem üblichen persönlichen Bedarf des Empfängers entsprechenden Menge aus einer Vertragspartei des EWR bezogen werden und dort in Verkehr gebracht werden dürfen (§ 11 Abs 1 Z 7 AWEG).

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist bei dieser Gesetzeslage die Frage der Zulässigkeit eines Versandhandelsverbots für Arzneimittel mit jener der Zulassung von Arzneimitteln untrennbar verknüpft.

 

Fällt nämlich eine Arzneispezialität unter die Ausnahmebestimmung des § 11 Abs 1 Z 7 AWEG, darf sie ohne Einfuhrbescheinigung eingeführt werden, was notwendig zur Folge hat, dass sie rechtlich so zu behandeln ist, als läge für sie eine Einfuhrbescheinigung nach § 5 AWEG vor. Das Wesen einer Ausnahmeregelung liegt nämlich gerade darin, dass Grundtatbestand und Ausnahmefall gleich zu behandeln sind und damit dieselben Rechtsfolgen nach sich ziehen.

 

Eine Arzneispezialität darf demnach nicht nur dann im Inland ohne Zulassung durch das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen abgegeben werden, wenn eine Einfuhrbescheinigung nach § 5 AWEG vorliegt (§ 7 Abs 1 Z 2 AMG), sondern gleichermaßen dann, wenn die Arzneispezialität deshalb keiner Einfuhrbescheinigung bedarf, weil sie unter die Ausnahmebestimmung des § 11 Abs 1 Z 7 AWEG fällt.

 

Die beklagte Apothekerin hat nur solche Arzneispezialitäten zur Anwendung am Menschen in einer dem üblichen persönlichen Bedarf des Empfängers entsprechenden Menge im Versandhandel von Deutschland nach Österreich verschickt bzw beworben, die in Deutschland zugelassen und apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig sind und für die in Österreich inhalts- und wirkstoffgleiche Arzneispezialitäten (wenn auch unter anderer Bezeichnung) zugelassen und hier nicht rezeptpflichtig sind.

 

Die hier streitgegenständlichen Arzneispezialitäten bedurften - wie aufgezeigt - keiner Einfuhrbescheinigung und sind im Inland zugelassenen Arzneispezialitäten gleichzuhalten. Erlaubt die nationale Rechtsordnung aber, in bestimmten Ausnahmefällen nicht zugelassene Arzneispezialitäten im Inland abzugeben, gilt diese rechtliche Gleichbehandlung mit im Inland zugelassenen Arzneispezialitäten auch für den Umfang eines unionsrechtlich zulässigen Versandhandelsverbots.

 

Dies führt bei sinngemäßer Anwendung der aufgezeigten Rsp zum Arzneimittelversandhandel zu der vom Rekursgericht zutreffend erkannten Konsequenz, dass der Beklagten kein Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften (§ 59 Abs 9 AMG, § 11 Abs 3 AWEG, § 50a Abs 1 Z 1 AMG, § 17 Abs 1 AWEG) vorzuwerfen ist. Dem Revisionsrekurs kann deshalb kein Erfolg beschieden sein.