OGH: Duldung des Heranbauens als Inhalt einer Grunddienstbarkeit?
Der Verpflichtung der „Duldung des Heranbauens“ fehlt es an dem für eine Grunddienstbarkeit wesentlichen Tatbestandsmerkmal der Eigentumsbeschränkung am dienenden Gut; eine freiwillige vertragliche Einschränkung eines allenfalls bestehenden Abwehranspruchs nach den §§ 364 ff ABGB (zB iZm Licht) könnte aber den Inhalt einer Dienstbarkeit bilden
§§ 472 ff ABGB, §§ 364 ff ABGB
GZ 5 Ob 43/12b, 24.04.2012
OGH: Die Dienstbarkeit ist das dingliche Recht der beschränkten Nutzung einer fremden Sache. Nach § 472 ABGB wird durch das Recht der Dienstbarkeit ein Eigentümer verbunden, zum Vorteil eines anderen in Rücksicht seiner Sache etwas zu dulden (bejahende Servitut) oder zu unterlassen (verneinende Servitut). Der Eigentümer der belasteten Sache ist also verpflichtet, etwas zu unterlassen, was er an sich zu tun befugt wäre, oder etwas zu dulden, was er sonst untersagen dürfte. Im Unterschied zur Reallast ist die Dienstbarkeit idR nicht mit der Verpflichtung des Eigentümers zu einem aktiven Tun verbunden. Die Pflicht zu positiven Leistungen darf nur Mittel zum Zweck, aber nicht Hauptinhalt sein.
Zwar ist die Aufzählung der Grunddienstbarkeiten in den §§ 475 bis 477 ABGB nicht erschöpfend. Wesentlich ist jedoch, dass Grunddienstbarkeiten das Eigentum am dienenden Grundstück beschränken und das am herrschenden Gut bestehende Eigentum erweitern oder fördern. Fehlt auch nur eine dieser beiden Eigenschaften, sind die Voraussetzungen einer Grunddienstbarkeit nicht gegeben.
In der Entscheidung 5 Ob 16/07z entschied der Senat, dass die gegenseitige Verpflichtung von Liegenschaftsnachbarn zur wechselseitigen „Erteilung einer Bauabstandsnachsicht“ (gemeint: Zustimmung zur Bauabstandsnachsicht durch die Baubehörde) nicht als Dienstbarkeit verbüchert werden kann, weil sich die vereinbarte „Erteilung einer Bauabstandsnachsicht“ inhaltlich als der Baubehörde zu vermittelnde Zustimmung zur bescheidmäßigen Erteilung einer Abstandsnachsicht darstellt. Die Abgabe einer Zustimmungserklärung im Bauverfahren könne als aktives Tun nicht Hauptleistungspflicht einer Dienstbarkeit sein. Diese Rechtsansicht wurde in der Entscheidung 5 Ob 32/07b wiederholt. Beide Entscheidungen bezogen sich auf Vorschriften des Vbg BauG.
In der Entscheidung 7 Ob 125/10y wurde ebenfalls ausgesprochen, dass eine Verpflichtung zur Erteilung einer Baunachsicht (im Anlassfall zu § 25 Abs 7a und Abs 8 des Sbg BGG) keine grundbücherlich einzuverleibende Servitut, sondern inhaltlich eine der Baubehörde zu vermittelnde Zustimmung zur bescheidmäßigen Erteilung einer Abstandsnachsicht darstelle. Die Abgabe einer Zustimmungserklärung im Bauverfahren könne nicht Hauptleistungspflicht einer Dienstbarkeit sein.
Demgegenüber wurde in der die außerordentliche Revision zurückweisenden Entscheidung 4 Ob 107/97g, welche Entscheidung sich ausschließlich mit der Frage des Erlöschens der Dienstbarkeit durch Vereinigung befasste, auf eine vereinbarte Dienstbarkeit „des Heranbauens bis an die Grenze des dienenden Gutes“ Bezug genommen.
Die im Anlassfall zu beurteilende, unter dem Titel „Grenzabstandsunterschreitung“ stehende Vereinbarung räumt das unentgeltliche Recht ein, entlang der gemeinsamen Grenze der Grundstücke 476/1 und 476/3, vorbehaltlich einer behördlichen Genehmigung, bis an die Grenze zum Grundstück 476/1 heranzubauen und bezeichnet die Dienstbarkeit als solche der „Duldung des Heranbauens zugunsten des Grundstücks 476/3“.
Richtig ist nun, dass nach den hier einschlägigen Salzburger Bauvorschriften - mit Ausnahme von bestimmten Nebenanlagen (vgl § 25 Abs 7a Sbg BGG) - die ausnahmsweise Zulassung der Unterschreitung der in § 25 Abs 3 und 4 Sbg BGG festgesetzten Abstände nur von der Einhaltung der in § 25 Abs 8 Sbg BGG genannten Voraussetzungen, nicht aber von einer Zustimmungserklärung der Nachbarn abhängt. Richtig ist daher auch, dass der tragende Abweisungsgrund der Entscheidung 5 Ob 16/07z, der darin lag, dass sich die dort wechselseitig übernommene Verpflichtung der „Erteilung einer Bauabstandsnachsicht“ inhaltlich als eine der Baubehörde zu vermittelnde Zustimmung zur bescheidmäßigen Erteilung einer Abstandsnachsicht, inhaltlich somit als Verpflichtung zu einem aktiven Tun darstellte, hier nicht einschlägig ist, weil die in der Urkunde übernommene Verpflichtung weder auf die Erteilung einer „Bauabstandsnachsicht“ Bezug nimmt noch eine entsprechende Zustimmungserklärung nach den maßgeblichen Salzburger Bebauungsvorschriften Relevanz hätte.
Damit ist aber für die Revisionsrekurswerber nichts gewonnen:
Der hier zu beurteilenden Verpflichtung der „Duldung des Heranbauens“ fehlt es nämlich an dem für eine Grunddienstbarkeit wesentlichen Tatbestandsmerkmal der Eigentumsbeschränkung am dienenden Gut. Die Eigentümerin des dienenden Gutes (die Erstantragstellerin) wird lediglich zur Duldung des Heranbauens bis zu ihrer Grundstücksgrenze verpflichtet, nicht aber zu einer Beschränkung des Eigentumsrechts an ihrem Grundstück selbst. Anders etwa als im Fall des Verzichts auf eine bestimmte bauliche Ausgestaltung der Liegenschaft (5 Ob 87/91) ist hier nicht zu erkennen, inwiefern die Duldung des Heranbauens bis zur Grundstücksgrenze eine Einschränkung der Nutzung der Liegenschaft der Erstantragstellerin selbst bewirkt.
Nun ist durchaus denkbar, dass aus der grenznahen Verbauung Beeinträchtigungen (zB Licht) der Nachbarliegenschaft resultieren könnten. Eine freiwillige vertragliche Einschränkung eines allenfalls bestehenden Abwehranspruchs nach den §§ 364 ff ABGB könnte nach der Rsp den Inhalt einer Dienstbarkeit bilden. Allerdings ist gerade dieser Fall von der vertraglichen Vereinbarung unmittelbar nicht erfasst.
Die Revisionsrekurswerber berufen sich auch gar nicht auf eine allfällige freiwillige vertragliche Einschränkung des Abwehranspruchs der Erstantragstellerin nach §§ 364 ff ABGB, sondern darauf, dass die Vereinbarung darauf abziele, dass die Erstantragstellerin verpflichtet werden solle, Einwendungen/Rechtsbehelfe/Rechtsmittel im baubehördlichen Verfahren zu unterlassen (gemeint offenkundig: soweit sich diese Einwendungen/Rechtsbehelfe/Rechtsmittel auf die Unterschreitung der im Sbg BGG geregelten Mindestabstände beziehen). Eine Stattgebung des Grundbuchsgesuchs aus diesem Grund scheidet aber - ohne dass auf die materielle Zulässigkeit eingegangen werden müsste - schon deshalb aus, weil nach dem im Grundbuchsverfahren maßgeblichen Urkundenwortlaut gerade nicht auf eine Unterlassungspflicht der Erstantragstellerin im baubehördlichen Verfahren, sondern auf die Pflicht zur Duldung des Heranbauens Bezug genommen wird.