04.06.2012 Zivilrecht

OGH: Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens iSd § 94 Abs 2 ABGB

Bei der Beurteilung der Frage des Gewichts von Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden; selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten begründet daher dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen Teils zerrüttet ist


Schlagworte: Familienrecht, Rechtsmissbrauch, sexuelles Verhältnis, unheilbar zerrüttet
Gesetze:

§ 94 Abs 2 ABGB

GZ 9 Ob 9/12g, 29.03.2012

 

OGH: Gem § 94 Abs 2 ABGB hat der den gemeinsamen Haushalt führende Ehegatte gegen den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zu Gunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.

 

Richtig ist, dass nicht jede schwere Eheverfehlung zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens führt. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene. Maßgebliches Kriterium ist dabei, ob das dem unterhaltsberechtigten Ehegatten vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahe kommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist. Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist.

 

Der Ehebruch und das „fortgesetzte sexuelle Liebesverhältnis“ stellen grundsätzlich schwerwiegende Verletzungen der ehelichen Verhaltenspflichten dar. Mit dem EheRÄG 1999 hat der Ehebruch aber seinen Charakter als absoluter Scheidungsgrund verloren. Er muss nunmehr zerrüttende Wirkung haben, um ein tauglicher Scheidungsgrund zu sein. Bei der Verschuldensabwägung im Scheidungsverfahren kommt ihm nicht in jedem Fall höheres Gewicht zu als anderen Eheverfehlungen - es gelten die allgemeinen Grundsätze. Mit dem Hinweis auf die geänderte Rechtslage wurde im Schrifttum mehrfach betont, dass auch die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs - um Wertungswidersprüche zu vermeiden - nur (mehr) auf einen Ehebruch gestützt werden könne, der zur Ehezerrüttung zumindest beigetragen hat.

 

Ähnlich führt Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 596, zur Unterhaltsverwirkung durch Rechtsmissbrauch aus, dass Ehebruch zwar gem § 49 EheG als Eheverfehlung zu behandeln sei, für die Annahme einer Verwirkung müsse jedoch noch etwas „dazukommen“, das den Schluss nahe lege, dass sich beim Ehebrecher der Ehewille verflüchtigt habe, und es sittenwidrig erscheinen ließe, dass dieser Ehegatte, der schuldhaft selbst die gebotene eheliche Gesinnung vermissen lasse, finanziellen Vorteil aus der Lebensgemeinschaft ziehe. Dieses „Mehr“ könne durchaus darin gesehen werden, dass der Ehegatte nicht nur einmal die Ehe breche (One-night-stand), sondern ein fortgesetztes sexuelles Verhältnis eingehe.

 

Bei der Beurteilung der Frage des Gewichts von Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf aber auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden. Selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten begründet daher dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen Teils zerrüttet ist.

 

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist das Unterhaltsbegehren der Klägerin rechtsmissbräuchlich: Die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Entfremdung der Ehegatten vor Aufnahme der ersten außerehelichen Beziehung der Klägerin hat das Berufungsgericht auf seine Wortkargheit, Inaktivität und Gleichgültigkeit zurückgeführt. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist der Beklagte aber grundsätzlich ein eher wortkarger Mensch, der von selbst nicht viel spricht und auch in der Gestaltung der ehelichen Gesprächskontakte und der Kontakte zur Verwandtschaft eher inaktiv war, ohne dass eine besondere Lieblosigkeit der Klägerin gegenüber feststellbar gewesen wäre. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte diese Haltung erst in der Ehe entwickelt hätte und es deshalb zu einer Entfremdung der Streitteile gekommen wäre.

 

Der Umstand, dass der Beklagte die Klägerin während ihrer psychologischen Beratung im Jahr 2006 nicht näher über deren Fortgang befragte, liegt zu weit zurück, um zur Erklärung der ersten außerehelichen Beziehung der Klägerin im Jänner 2009 noch beachtlich zu sein. Es muss daher nicht weiter gefragt werden, ob sich das Unterbleiben von Nachfragen nur mit dem Charakter des Beklagten erklärt.

 

Damit kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Ehe der Streitteile zu jenem Zeitpunkt, als die Klägerin die erste außereheliche Beziehung einging, bereits zerrüttet und folglich für einen Unterhaltsanspruch unschädlich gewesen wäre. Das über fünf Monate fortgesetzte sexuelle Verhältnis der Klägerin, dem der Beklagte zunächst keineswegs mit Gleichgültigkeit, sondern mit Gesprächsversuchen und der Bitte, es zu beenden, begegnete, ist daher iSd Rsp als schwerwiegende, anspruchsvernichtende Verletzung der ehelichen Verhaltenspflichten zu sehen.

 

Dass der Beklagte in der Folge seinen Ehewillen aufgab, stellt sich nur als Reaktion auf die erste außereheliche Beziehung der Klägerin dar. In weiterer Folge kam es auch zu keiner Aussöhnung der Streitteile. Daneben spielt es keine Rolle mehr, dass die Ehe zum Zeitpunkt des Beginns der zweiten außerehelichen Beziehung der Klägerin unheilbar zerrüttet gewesen sein mag.

 

Angesichts dieser Umstände ist das Erstgericht zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch iSd § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB verwirkt hat.