OGH: § 377 UGB – Obliegenheit des Käufers zur Erhebung der Mängelrüge, Prüfpflicht und grob fahrlässige Verursachung / Verschweigung des Mangels durch Verkäufer
Die Untersuchung durch eigens beauftragte Sachverständige kommt nur in Betracht, wenn die Kosten hiefür nicht außer Verhältnis zu dem mit der Ware zu erzielenden Gewinn stehen; die sofortige Prüfungspflicht bezieht sich grundsätzlich auf die Beanstandung offensichtlicher, in die Augen fallender Mängel
§ 377 UGB
GZ 4 Ob 167/11d, 27.03.2012
OGH: Die Untersuchungsanforderungen an den Käufer hängen wesentlich von der Natur der Ware, den Branchengepflogenheiten, vom Gewicht der zu erwartenden Mangelfolgen, Auffälligkeiten der Ware, etc ab. Welche Untersuchungshandlungen dem Käufer jeweils zuzumuten sind, bestimmt sich nach objektiven Gesichtspunkten und den Umständen des Einzelfalls.
Zu einer sachgerechten Untersuchung gehört zwar uU auch die Beiziehung eines Sachverständigen. Dies allerdings nur dann, wenn Grund zur Annahme eines (nur für Sachkundige erkennbaren) Mangels besteht. Eine (aufwändige) chemische Analyse kann - gerade bei geringwertigen Erzeugnissen - in aller Regel nicht gefordert werden. Die Untersuchung durch eigens beauftragte Sachverständige kommt nur in Betracht, wenn die Kosten hiefür nicht außer Verhältnis zu dem mit der Ware zu erzielenden Gewinn stehen. Die sofortige Prüfungspflicht bezieht sich grundsätzlich auf die Beanstandung offensichtlicher, in die Augen fallender Mängel. Gleiches gilt für eine vereinbarte Rügefrist, die sich im Allgemeinen nicht auf die Rüge versteckter Mängel bezieht.
Im vorliegenden Fall verkaufte die Klägerin ihre Waren als schon „labormäßig untersucht auf Pestizide, Schwermetalle, Mikrobiologie“. Die Beklagte hatte keinerlei Grund zur Annahme, dass die Ware dennoch pestizidverseucht sein könnte. Angesichts der mit chemischen Untersuchungen von Lebensmitteln verbundenen (nicht unbeträchtlichen) Kosten wäre eine chemische Analyse jeder Lieferung von Apfelwürfeln und -ringen wirtschaftlich kaum vertretbar. Abgesehen davon stellt sich die Frage, ob derartige Analysen überhaupt innerhalb von acht Tagen möglich wären. Selbst die Klägerin gesteht zu, dass dies davon abhänge, welchem Labor man den Auftrag dazu erteile. Schon dieser zeitliche Aspekt unterscheidet den hier gegebenen Sachverhalt von jenem der Entscheidung 3 Ob 356/52. Dort wurde eine einfache chemische Analyse deswegen für tunlich erachtet, weil das Tafelparaffin nicht sofort in Verwendung genommen wurde, während hier die Ware zur sofortigen Weiterverarbeitung vorgesehen war.
Die Frage, ob im gegenständlichen Fall eine sachgerechte Untersuchung der Ware (Apfelringe und -würfel) nur durch chemische Analyse zu bewerkstelligen gewesen wäre, kann jedoch offen bleiben, weil sich die Beklagte auch auf grobe Fahrlässigkeit der Klägerin iSv § 377 Abs 5 UGB beruft.
Die Klägerin hat sich in ihrer Revision mit der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach sich die Klägerin nach § 377 Abs 5 UGB wegen grob fahrlässigen Handelns iZm der Kontamination der gelieferten Ware nicht auf die Obliegenheit der Beklagten zur Erhebung der Mängelrüge berufen könne, nur marginal auseinander gesetzt, nämlich insoweit als sie entsprechende Beweisergebnisse vermisst. Dabei übersieht sie jedoch, dass sich bereits aus den - wenn auch dislozierten - Feststellungen der Tatsacheninstanzen ergibt, dass sich die Klägerin nicht um die Sicherstellung von Bioqualität bemühte.
Nach dem Wortlaut des § 377 Abs 5 UGB bezieht sich die Wortfolge „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ sowohl auf „verschweigen“ als auch auf „verursachen“. In beiden Fällen ist der Verkäufer - vorsätzlich oder grob fahrlässig - für jene Umstände verantwortlich, die sein Informationsinteresse begründen, sodass die dem Käufer (sonst) auferlegte Informations- und Rügepflicht entfällt.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dem Verkäufer aufgrund gravierender Sorglosigkeit der Mangel der Sache unbekannt geblieben ist und er deshalb nicht erkannte, dass der Käufer bei Kenntnis des Mangels den Vertrag nicht oder nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätte. Der Tatbestand ist auch erfüllt, wenn der Verkäufer den Mangel kannte, aber ihm aufgrund grober Fahrlässigkeit verborgen geblieben ist, dass der Käufer hiervon keine Kenntnis hatte, aber bei Vorhandensein der Information den Vertrag möglicherweise nicht oder mit anderem Inhalt abgeschlossen hätte.
Hier kommt in Frage „grob fahrlässig verschwiegen“, gemeint „grob schuldhaft nicht erkannt und daher nicht informiert“.
Die Klägerin hatte sich vertraglich zur Lieferung labormäßig untersuchter Bioware verpflichtet. Anstatt dessen mischte sie die (offenbar ungeprüfte) Ware aus unterschiedlichen Quellen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Vertragswidrigkeit im Bereich der Klägerin ereignete. Der Klägerin ist die unterlassene Prüfung daher auch eher anzulasten als der Beklagten bzw ist ihr Interesse an rascher Klarheit über die Lieferung als geringer zu werten als jenes der Beklagten am Erhalt ihrer Ansprüche.
Die Klägerin kann sich somit iSd § 377 Abs 5 UGB nicht auf die Verfristung der Mängelrüge berufen. Ihrer Revision war nicht Folge zu geben.