30.04.2012 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung (Operation) im Ausland

Solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt, hat er seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen und besteht daher in diesem Fall kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwendigeren Therapie im Ausland


Schlagworte: Krankenversicherung, Krankenbehandlung, Anstaltspflege, Ausland, Kostenübernahme
Gesetze:

§ 133 ASVG, § 131 ASVG, § 135 ASVG, § 144 ASVG, § 145 ASVG, § 120 ASVG

GZ 10 ObS 20/12g, 13.03.2012

 

Der Kläger vertritt die Auffassung, er habe das Recht auf freie Wahl des Arztes und der Krankenanstalt. Er begehre die Therapie in einer „Spezialklinik“, die die Therapie am Stand der Medizin mit dem geringsten Risiko für den Patienten durchführe. Im Leistungsrecht der sozialen Krankenversicherung sei eine Risikoreduktion von 7,5 % für den Bereich der Facialis-Lähmung iSd Zweckmäßigkeit zu beachten. Weiters komme auch der unterschiedlichen Mortalitätsrate (in Tübingen 0 %, in Wien 0,5 %) eine Bedeutung zu. Es sei daher die bei einer Operation in Tübingen gegebene bessere Ergebnisqualität zu berücksichtigen. Schließlich fehlten Feststellungen darüber, wie hoch die Kosten einer derartigen Operation in Österreich seien.

 

OGH: Es trifft zwar zu, dass der Grundsatz der freien Arztwahl nicht auf inländische Ärzte beschränkt ist. Der Versicherte hat jedoch nach stRsp des OGH keinen Rechtsanspruch auf die jeweils weltbeste medizinische Versorgung. Der Versichertengemeinschaft ist es nicht zuzumuten, die (wesentlich höheren) Kosten einer Operation im Ausland zu übernehmen, wenn eine gleiche Operation mit ausreichender Erfolgswahrscheinlichkeit innerhalb des notwendigen Zeitraums kostengünstiger im Inland möglich wäre. Solange der Krankenversicherungsträger im Inland eine zweckmäßige und ausreichende Krankenbehandlung zur Verfügung stellt, hat er seiner Verpflichtung zur Sachleistungsvorsorge entsprochen und besteht daher in diesem Fall kein Anspruch auf Ersatz der tatsächlichen Kosten einer medizinisch gleichwertigen, allenfalls auch aufwendigeren Therapie im Ausland.

 

Gem § 145 Abs 1 ASVG ist der Erkrankte, wenn Anstaltspflege gem § 144 ASVG gewährt wird, in eine landesgesundheitsfondsfinanzierte Krankenanstalt einzuweisen, die über alle für die notwendige Behandlung erforderlichen Einrichtungen verfügt. Hiebei sind Wünsche des Erkrankten insoweit zu berücksichtigen, als die Art der Krankheit es zulässt und dadurch kein Mehraufwand für den Versicherungsträger eintritt. Die Organisation der Krankenversicherung in der österreichischen gesetzlichen Sozialversicherung beschränkt sich somit auf das Staatsgebiet. Es ist der österreichische Sozialversicherungsträger nach nationalem Recht nicht verpflichtet, weltweit für Sachleistungen vorzusorgen, also Verträge mit Trägern von Krankenanstalten im Ausland abzuschließen. Für eine Aufnahme in eine ausländische Krankenanstalt ist daher in der Regel die vorherige Bewilligung des Krankenversicherungsträgers einzuholen.

 

Im vorliegenden Fall ist entscheidungswesentlich, ob die beim Kläger indizierte Operation in zumutbarer Weise in Österreich durchgeführt werden kann. Dabei geht es nicht darum, ob ein Versicherter die Qualität einer im Ausland durchzuführenden Operation subjektiv höher einschätzt als die einer solchen im Inland, sondern nur darum, ob die zur Behandlung der Krankheit des Klägers erforderliche Operation in zumutbarer Weise in Österreich durchgeführt werden kann. Dazu bedarf es näherer Feststellungen insbesondere über die Operationsmöglichkeiten, Operationsrisiken und die Erfolgswahrscheinlichkeit in den einzelnen in Betracht kommenden Krankenanstalten.

 

Wie der OGH ebenfalls bereits mehrfach ausgeführt hat, besteht - in der Krankenversicherung ganz allgemein - ein Interessenkonflikt zwischen Patient, Arzt und Sozialversicherungsträger hinsichtlich Art und Umfang der Krankenbehandlung. Dem (verständlichen) Wunsch des Patienten nach bestmöglicher ärztlicher Betreuung und weitestgehender versicherungsmäßiger Deckung der entstandenen Kosten, sowie der Forderung des Arztes nach möglichst freier Berufsausübung unter angemessener Honorierung seiner Leistung, steht das Interesse des Sozialversicherungsträgers an dem möglichst ökonomischen Verhalten des Arztes gegenüber. Aus diesem Grund wird in § 133 Abs 2 ASVG als Maßstab festgelegt, dass die Krankenbehandlung ausreichend und zweckmäßig sein muss, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Diese Beschränkung des Leistungsumfangs auf das Maß des Notwendigen beinhaltet auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit der Krankenbehandlung. Die Zweckmäßigkeit einer Krankenbehandlung darf aber nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten beurteilt werden. Vielmehr ist auch das Ausmaß der Betroffenheit des Patienten im Einzelfall zu berücksichtigen. Die Abwägung zwischen den Interessen des Patienten an der „besten“ Behandlung und der Versichertengemeinschaft an einer kostenoptimalen Versorgung hängt jeweils von den Umständen des Einzelfalls ab.

 

Im vorliegenden Fall ist nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen davon auszugehen, dass die Operation eines Akustikusneurinoms T2, wie es beim Kläger vorliegt, am AKH Wien und an der Krankenanstalt Rudolfstiftung innerhalb des erforderlichen Zeitraums mit ausreichender Erfolgswahrscheinlichkeit und ausreichend geringem Operationsrisiko möglich ist und die Art der Operation an diesen beiden österreichischen Krankenanstalten auf jeden Fall auch dem internationalen Standard entspricht.

 

Der Hinweis des Klägers auf ein um 7,5 % höheres Risiko einer Facial-Lähmung bei einer Operation in Wien lässt die weitere Feststellung des Erstgerichts unberücksichtigt, dass seit einiger Zeit solche Operationen am AKH Wien mit intraoperativem Monitoring durchgeführt werden, weshalb mit einer noch höheren Rate an Facialis-Erhaltung zu rechnen ist. Demgegenüber ist nach den Feststellungen der Gehörerhalt bei einer Operation am AKH Wien in 74 % der Fälle und in der Klinik in Tübingen in 68 % der Fälle gegeben. Ein signifikant unterschiedliches Risiko ist daher bei einer Operation in Österreich und Deutschland nicht gegeben.

 

Soweit der Kläger eine ergänzende Feststellung dahin begehrt, dass die Mortalitätsrate in Tübingen 0 % und jene in Wien 0,5 % betrage, ist darauf hinzuweisen, dass die Mortalitätsrate in Wien nur geringfügig erhöht wäre und der medizinische Sachverständige bei seiner mündlichen Gutachtenserörterung ausgeführt hat, dass die beiden Werte nicht miteinander vergleichbar seien, weil sich die Mortalitätsrate von 0,5 % für die Behandlung in Wien sowohl auf die kleinen als auch die großen und schwierigen Tumore bezieht. Ausgehend davon liegt jedenfalls auch keine signifikant höhere Mortalitätsrate im Vergleich zu einer Operation in Tübingen vor.

 

Soweit der Kläger schließlich eine ausdrückliche Feststellung über die Höhe der Kosten der Operation in Österreich begehrt, ist darauf hinzuweisen, dass die Träger der Sozialversicherung aufgrund der derzeit bestehenden Krankenanstaltenfinanzierung (vgl § 447f ASVG) pro Jahr einen gesetzlich festgelegten Pauschalbetrag zu leisten haben und es sich daher für den Krankenversicherungsträger um zusätzliche Kosten handeln würde, wenn Kosten für eine Behandlung im Ausland zu übernehmen wären.

 

Wenn die Vorinstanzen bei der geschilderten Sach- und Rechtslage auch unter Berücksichtigung der besonderen Betroffenheit des Klägers zu dem Ergebnis gelangten, dass die Behandlungen des Klägers in Österreich und in Deutschland als wirkungsgleich zu betrachten seien, und dem Kläger daher eine Operation in Österreich zumutbar sei, kann darin vom erkennenden Senat keine im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung erblickt werden.

 

Die Richtigkeit der Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Kläger sein Kostenübernahmebegehren auch nicht mit Erfolg auf Art 20 Abs 2 der VO (EG) Nr 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit stützen kann, weil auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung zur Inanspruchnahme von Sachleistungen in einem anderen Mitgliedstaat nach dieser Bestimmung nicht erfüllt sind, wird vom Kläger im Rechtsmittelverfahren zu Recht nicht mehr in Zweifel gezogen.