OGH: § 14 ZPO – notwendige Streitgenossenschaft (hier iZm Räumungsklage)
Mehrere titellose Benutzer derselben Sache sind bei einer Räumungsklage des Eigentümers auch dann keine notwendigen Streitgenossen, wenn einzelne von ihnen Rechte von anderen Benutzern ableiten; das gilt auch im Fall von Ehegatten
§ 14 ZPO
GZ 4 Ob 196/11v, 28.02.2012
OGH: Das Wesen der notwendigen Streitgenossenschaft besteht darin, dass der Klageanspruch nach der Natur des Rechtsverhältnisses oder nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift nur von allen an einem Rechtsverhältnis Beteiligten oder gegen sie erhoben werden kann; eine notwendige Streitgenossenschaft liegt im Zweifel nur vor, wenn bei Nichterfassung aller Teilnehmer die Gefahr unlösbarer Verwicklungen durch von einander abweichende Entscheidungen entsteht. Das ist nicht der Fall, wenn trotz Gemeinsamkeit des rechtserzeugenden Sachverhalts keine rechtliche Notwendigkeit für eine in jedem Fall einheitliche Entscheidung besteht. Maßgebend für die Beurteilung dieser Frage ist das materielle Recht.
Auf dieser Grundlage sind mehrere Mitmieter im Kündigungsprozess notwendige Streitgenossen. Grund dafür ist die Einheitlichkeit des Rechtsverhältnisses zwischen dem Vermieter auf der einen und den Mietern auf der anderen Seite; dieses Rechtsverhältnis kann aus materiell-rechtlichen Gründen nur mit Wirkung für und gegen alle Mieter beendet werden. Anders verhält es sich bei einer von Anfang an titellosen Benutzung durch mehrere Personen. Hier besteht - mangels einheitlichen Rechtsverhältnisses - ein selbständiger Räumungsanspruch gegen jeden einzelnen Benutzer, es schadet daher nicht, wenn nicht alle geklagt werden.
Davon abweichend hat der OGH in 7 Ob 20/06a eine notwendige Streitgenossenschaft angenommen, wenn einer von zwei Ehegatten einen dem Räumungsbegehren entgegenstehenden Titel behaupte und der andere von ihm Benützungsrechte familienrechtlicher Art ableite. In diesem Fall müssten beide geklagt werden. Denn sollte der andere Ehegatte die Wohnung nicht freiwillig räumen, müsste der Kläger auch gegen ihn einen Räumungsprozess einleiten, in dem mangels Parteienidentität keine Bindung an die im Vorprozess getroffenen Sachverhaltsfeststellungen bestünde. Abweichende Entscheidungen wären daher denkbar. Hingegen teilten die (minderjährigen) Kinder „das rechtliche Schicksal ihrer obsorgeberechtigten Vertreter“, sodass sie nicht geklagt werden müssten.
Der Senat kann sich dieser Auffassung nicht anschließen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die in 7 Ob 20/06a zitierte Vorjudikatur nicht die Frage betraf, ob Ehegatten unter den genannten Umständen notwendige Streitgenossen seien, also das Unterbleiben der Klage gegen den einen zwingend zur Abweisung der Klage gegen den anderen führt. Fraglich war vielmehr, ob bei einer gegen mehrere Benutzer eingebrachten Klage eine einheitliche Streitpartei vorlag, sodass das prozessuale Handeln der einen auch für die anderen wirkte. Diese Unterscheidung zwischen notwendiger Streitgenossenschaft und einheitlicher Streitpartei findet sich ausdrücklich in 5 Ob 154/68: Zwar müsse die Klage nicht gegen alle Personen gerichtet werden, die ihr Benützungsrecht von den Beklagten ableiteten; geschehe das aber, liege eine einheitliche Streitpartei vor, sodass die Säumnis einzelner Streitgenossen nicht schade. Die Entscheidungen 8 Ob 306/67 und 1 Ob 640/89 betrafen ebenfalls unterbliebene Prozesshandlungen eines tatsächlich geklagten Streitgenossen, in der weiteren Vorjudikatur finden sich nur obiter dicta. Eine einheitliche Rsp zur hier strittigen Frage gibt es daher nicht, vielmehr stehen einander die Entscheidungen 5 Ob 154/68 und 7 Ob 20/06a gegenüber.
Bei mehreren titellosen Benutzern besteht kein einheitliches Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger auf der einen und den Benutzern auf der anderen Seite. Rechtsgrund für die Klage ist das Eigentum oder ein anderes dingliches Recht; es liegt allein am Kläger, ob er dieses Recht gegen alle oder nur gegen einzelne Benutzer durchsetzen will. In der hier zu beurteilenden Situation kann nichts anderes gelten. Allein der Umstand, dass bei Benutzern aufgrund abgeleiteten Rechts (hier die Zweit- bis Fünftbeklagten) vorfrageweise geprüft werden muss, ob das Recht ihres Vormanns (hier des Erstbeklagten) besteht, zwingt nicht zu einer gemeinsamen Klage. Denn es ist auch hier nicht erkennbar, weswegen es dem Eigentümer aus rechtlichen Gründen nicht möglich sein soll, sich bei Nichtbestehen dieses Rechts auf eine Klage gegen bestimmte (lästige) Benutzer zu beschränken und andere - sei es den angeblich Berechtigten, seien es jene, die von ihm Rechte abzuleiten versuchen - weiter zu dulden. Unlösbare rechtliche „Verwicklungen“ wären damit nicht verbunden. Wenn der Kläger sich für eine solche Vorgangsweise entscheidet, wäre es in weiterer Folge allein sein Risiko, wenn die Gerichte in einem später doch eingeleiteten Verfahren gegen die anderen Nutzer mangels Bindung inhaltlich abweichend entschieden. Auch diese Gefahr kann daher die notwendige Streitgenossenschaft nicht begründen.
Mit der Gestaltung (zB Kündigung, Anfechtung) oder der Feststellung eines einheitlichen Rechtsverhältnisses zwischen den beiden Seiten, die wegen dieser Einheitlichkeit aus materiell-rechtlichen Gründen nur einheitlich erfolgen kann, ist diese Konstellation nicht zu vergleichen. Ob bei einer gegen alle Benutzer erhobenen Klage tatsächlich wegen der Einwendung eines abgeleiteten Rechts die Entscheidung tatsächlich einheitlich ausfallen muss, sodass die Beklagten eine einheitliche Streitpartei bilden, ist hier nicht zu entscheiden.
Die besondere Rechtsbeziehung zwischen Ehegatten (§ 97 ABGB), auf die 7 Ob 20/06a entscheidend abstellt, betrifft ebenfalls das Innenverhältnis auf Seiten der Benutzer, sie wirkt aber im Allgemeinen nicht gegen Dritte und begründet daher kein einheitliches Rechtsverhältnis mit dem Eigentümer. Eine materiell-rechtliche Pflicht, Ehegatten im Rechtsverkehr gleich zu behandeln - hier also entweder beide oder keinen auf Räumung zu klagen - besteht nicht. Unlösbare rechtliche Verwicklungen ergäben sich daher auch hier nicht.
Aus diesen Gründen hält der Senat an der schon in 5 Ob 154/68 vertretenen Auffassung fest, dass mehrere titellose Benutzer derselben Sache bei einer Räumungsklage des Eigentümers auch dann keine notwendigen Streitgenossen sind, wenn einzelne von ihnen Rechte von anderen Benutzern ableiten; das gilt auch im Fall von Ehegatten. Ein einheitliches Rechtsverhältnis zwischen dem Eigentümer auf der einen und den Benutzern auf der anderen Seite, das aus materiell-rechtlichen Gründen die Einbeziehung aller Beteiligten in das Verfahren erforderte, liegt in einem solchen Fall nicht vor.
Auf den vom Berufungsgericht erörterten § 568 ZPO kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die Klägerin hat ohnehin gegen alle Benutzer einen Titel erwirkt, sodass sie schon deswegen gegen alle exekutiv vorgehen kann. Ob sie aufgrund eines Titels nur gegen den Erstbeklagten die Räumung gegen alle anderen Nutzer durchsetzen könnte, die ihre Rechte von ihm ableiten, ist hier nicht zu entscheiden.