OGH: Verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 364a ABGB
Eine § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch die Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss, so va bei behördlich genehmigten Bau- und Abbruchsarbeiten
§ 364a ABGB
GZ 5 Ob 190/11v, 13.12.2011
Im Zuge von Bauarbeiten, die von der Beklagten beauftragt wurden, stürzte am 27. 1. 2009 ein Autokran der Nebenintervenientin der Klägerin auf der Liegenschaft der Beklagten um und beschädigte dabei das Haus der Klägerin. Die Nebenintervenientin auf Seite der Klägerin ist Eigentümerin und Halterin des umgestürzten Krans (Turmdrehkran) und war mit Baumeisterarbeiten auf der Liegenschaft der Beklagten beauftragt.
OGH: Die stRsp billigt einen verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch auch dann zu, wenn sich aus der Interessenlage ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergeben. Eine § 364a ABGB analoge Situation wird in Fällen angenommen, in denen durch die Bewilligung der Anschein der Gefahrlosigkeit und damit der Rechtmäßigkeit der bewilligten Maßnahme hervorgerufen und dadurch die Abwehr zwar nicht rechtlich ausgeschlossen, aber faktisch derart erschwert wird, dass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen muss, so va bei behördlich genehmigten Bau- und Abbruchsarbeiten.
Dem Grundeigentümer muss die Störung durch einen Dritten zuzurechnen sein, er muss sie veranlasst oder geduldet haben. Seine Dispositionsbefugnis in Form eines effektiven Hinderungsrechts wird dann zugrunde gelegt, wenn er zum Schädiger in einem sich darauf beziehenden Rechtsverhältnis steht.
In diesem Zusammenhang wird die nachbarrechtliche Haftung des Grundeigentümers für von ihm beauftragte, schadensstiftende Baumaßnahmen und Arbeiten bejaht. Ihm ist das schädigende Verhalten des beauftragten Bauunternehmers und seiner Leute zuzurechnen.
Das alles gilt auch für Schäden, die auf Baumaßnahmen im Zug der Errichtung einer Anlage zurückzuführen sind.
Die Haftung aufgrund analoger Anwendung des § 364a ABGB wird auch bei grob körperlichen Einwirkungen und auch bei unmittelbarer Zuleitung bejaht.
Die Haftung nach § 364a ABGB setzt weiters voraus, dass von der Anlage Einwirkungen auf den Nachbargrund ausgehen, die für deren Betrieb „typisch“ sind. Dabei ist maßgebend, ob für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko bildete, das er zu seinem Nutzen eingegangen ist. Unter in diesem Sinn „betriebstypischen“ Schäden, also solchen die aus dem Gefährdungspotential der Anlage resultieren, sind die adäquat verursachten Folgen zu verstehen. Eine adäquate Verursachung ist (nur) dann nicht anzunehmen, wenn ein Verhalten seiner Natur nach völlig ungeeignet erscheint, einen Erfolg nach der Art des eingetretenen herbeizuführen und nicht bloß eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände vorliegt.
Unter Berücksichtigung der zur Zeit der Kranaufstellung bekannten bzw jedenfalls erkennbaren Bodenbeschaffenheit des Baugrundes, nämlich dass es sich nicht durchgehend um gewachsenen Boden handelte, sondern vielmehr dort ein unterfüllter Keller vorhanden war, ist entgegen der Ansicht der Vorinstanzen zugrunde zulegen, dass das Einsinken eines Krans, dessen Umstürzen und damit verbundene Beschädigung einer Nachbarliegenschaft im verbauten Stadtbereich keine für den Betrieb untypische Folge war. Angesichts des eingeholten geotechnischen Gutachtens war diese besondere Naturgegebenheit bekannt und ist ein kalkulierbares oder gar kalkuliertes Risiko des Haftpflichtigen somit zu bejahen.
Darauf, dass „Nachbar“ iSd Bestimmung des § 364a ABGB auch ein „mittelbarer Nachbar“ sein kann, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen.