12.03.2012 Zivilrecht

OGH: Zum Antrag des Noterben auf Errichtung des Inventars gem § 804 ABGB

Das Recht, gem § 804 ABGB die Errichtung des Inventars zu fordern, steht den Noterben ohne weitere Voraussetzungen zu


Schlagworte: Erbrecht, Noterbe, Errichtung des Inventars, Antrag, Pflichtteilsverzicht, Auslegung
Gesetze:

§ 804 ABGB, §§ 762 ff ABGB, § 165 AußStrG, § 1444 ABGB

GZ 3 Ob 119/11p, 12.10.2011

 

OGH: Das Recht, gem § 804 ABGB die Errichtung des Inventars zu fordern, steht den Noterben ohne weitere Voraussetzungen zu. Das Gericht hat daher nur dessen Eigenschaft als Noterbe zu prüfen, nicht aber, ob die Forderungen materiell zu Recht bestehen; diese Prüfung bleibt vielmehr dem Prozess über den Pflichtteilsanspruch vorbehalten; das gilt auch für den Einwand des Erben, die Pflichtteilsforderung sei bereits zwischen dem Erben und der Noterbin außergerichtlich verglichen worden. Bei der Beurteilung des Antrags der Noterbin war daher nicht zu prüfen, ob es durch die Äußerung der Noterbin am 27. September 2010 zum (schlüssigen) Abschluss eines Pflichtteilsverzichtsvertrags mit dem bereits unbedingt erbserklärten Erben kam.

 

Zu beurteilen ist nur, ob ihre Verfahrenserklärung gegenüber dem Gerichtskommissär in Anwesenheit des Erben nach Rechtsbelehrung über das Rechtsinstitut des Pflichtteils und über die Möglichkeit einer Inventarisierung zu Protokoll, eine Schätzung und Inventarisierung nicht zu beantragen und den Pflichtteil überdies auch nicht geltend zu machen, als zulässiger Verzicht auf die Errichtung eines Inventars auszulegen ist. Bei der Auslegung von Prozesshandlungen sind objektive Maßstäbe anzulegen und nicht die Auslegungsregeln für Rechtsgeschäfte (§§ 914 ff ABGB) heranzuziehen. Es ist also insbesondere nicht der Parteiwille zu erforschen.

 

Die objektive Bedeutung des bei der Erklärung vom 27. September 2010 gebrauchten Wortlauts lässt für sich allein genommen - und nur darauf kommt es nach dem vorhin Gesagten an - nicht den Schluss zu, die Noterbin habe dadurch ein für alle mal auf ihren verfahrensrechtlichen Anspruch, die Inventarisierung und Schätzung des Nachlasses zu begehren, verzichtet. Schließlich fand weder das Wort „Verzicht“ Verwendung (obwohl dies bei entsprechender Absicht der Noterbin bei Protokollierung durch den Gerichtskommissär zu erwarten wäre), noch ist dem Text sonst ein Hinweis darauf zu entnehmen, es handle sich um eine endgültige Aufgabe des Rechts. Die wörtliche Auslegung verbietet daher die Annahme der Abgabe eines Verzichts auf die Inventarisierung. Die Noterbin hat daher durch ihre Erklärung weder ihre Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren aufgegeben, noch stellt sich die Frage der Widerruflichkeit der Erklärung vom 27. September 2010.

 

Vielmehr hat sie in ihrem folgenden Schreiben an den Gerichtskommissär vom ihr eingeräumten Recht (§ 804 ABGB; § 165 Abs 1 Z 6 AußStrG) zulässig Gebrauch gemacht, die Errichtung eines Inventars und die Schätzung des Nachlasses zu beantragen, dem das Rekursgericht somit - im Ergebnis - zu Recht stattgegeben hat.