12.03.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob und gegebenenfalls wie sich der erstmals im Verlauf des Deckungsprozesses erhobene Einwand einer Warteverpflichtung iSd Art 8.1.5.3 ARB 2003 auf das ansonsten berechtigte Begehren des Rechtsschutzversicherten auf Feststellung der Rechtsschutzdeckung auswirkt

Die Warteverpflichtung iSd Art 8.1.5.3. ARB 2003 ist - wie Pkt 2. des Art 8 der ARB 2003 ausdrücklich klarstellt - eine nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit iSd § 6 Abs 3 VersVG; sie kann, ebenso wie andere Obliegenheiten, die Fälligkeit der Leistung erst dann berühren, wenn die Ansprüche, für die Rechtsschutzdeckung begehrt wird, mit Klage gerichtlich geltend gemacht werden; geht es um die Deckung der Kosten erst künftig zu führender gerichtlicher Verfahren, ist daher auf eine Warteobliegenheit nicht schon im Rahmen des Deckungsprozesses, sondern erst dann Bedacht zu nehmen, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich Klage erhebt und dafür Kostendeckung vom Versicherer verlangt


Schlagworte: Versicherungsrecht, Rechtsschutzversicherung, Deckungsprozess, Warteverpflichtung, Obliegenheit
Gesetze:

Art 8 ARB 2003, § 6 Abs 3 VersVG

GZ 7 Ob 109/11x, 09.11.2011

 

Die Kläger sind bei der Beklagten rechtsschutzversichert. Den Versicherungsverträgen liegen „Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutz-Versicherung (ARB 2003)“ zugrunde. Deren Art 8 lautet auszugsweise:

 

„Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruchs zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

[…]

1.5. bei der Geltendmachung oder Abwehr von zivilrechtlichen Ansprüchen außerdem

[…]

1.5.3. soweit seine Interessen nicht unbillig, insbesondere durch drohende Verjährung beeinträchtigt werden, vor der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen die Rechtskraft eines Strafverfahrens oder eines anderen Verfahrens abzuwarten, das tatsächliche oder rechtliche Bedeutung für den beabsichtigten Rechtsstreit haben kann, oder vorerst nur einen Teil der Ansprüche geltend zu machen und die Geltendmachung der verbleibenden Ansprüche bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Teilanspruch zurückzustellen.

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorgenannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[…].“

 

Im Revisionsverfahren ist nur mehr strittig, ob die (grundsätzliche) Verweigerung des Rechtsschutzes im Hinblick auf eine von der Beklagten behauptete Warteverpflichtung nach Art 8.1.5.3. ARB 2003 gerechtfertigt ist oder nicht. Die Revisionswerberin vertritt die Ansicht, ihre Deckungspflicht sei zu verneinen, weil im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz wegen zweier Musterprozesse eine Warteverpflichtung hinsichtlich der im Klagebegehren genannten Rechtsschutzfälle bestanden habe, die einer gerichtlichen Durchsetzung der Ansprüche der Kläger entgegenstehe. Die verspätete Mitteilung der (Aktenzahlen der) Musterprozesse könne lediglich allenfalls Kostenfolgen haben, habe aber keine Auswirkung auf die Beurteilung des Deckungsanspruchs.

 

OGH: Die Ansicht der Beklagten, wonach zufolge der behaupteten Warteobliegenheit der Deckungsanspruch der Kläger noch nicht fällig sei, ist nicht zu teilen. Die Warteverpflichtung ist - wie Pkt 8.2. des Art 8 der ARB 2003 ausdrücklich klarstellt - eine nach dem Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheit iSd § 6 Abs 3 VersVG. Sie kann, ebenso wie andere Obliegenheiten, die Fälligkeit der Leistung erst dann berühren, wenn die Ansprüche, für die Rechtsschutzdeckung begehrt wird, mit Klage gerichtlich geltend gemacht werden. Dies ist im vorliegenden Fall (noch) nicht geschehen. Haben sich - wie hier - alle anderen vom Versicherer ins Treffen geführten Leistungsverweigerungsgründe als haltlos erwiesen, steht daher der Rechtsschutzdeckungsanspruch des Versicherungsnehmers für allfällige künftige gerichtliche Verfahren grundsätzlich fest; alle Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt.

 

Eine Warteobliegenheit besteht immer nur so weit, als die Interessen des Versicherungsnehmers nicht unbillig, insbesondere durch drohende Verjährung, beeinträchtigt werden. Ob und inwieweit eine Warteobliegenheit besteht, ist daher stets situationsbedingt; es sind die jeweiligen Umstände in ihrer Gesamtheit maßgeblich. Da sich diese Umstände jederzeit ändern können, kann nicht allgemeingültig, sondern immer nur für einen bestimmten Zeitpunkt beurteilt werden, ob für den Versicherungsnehmer die Obliegenheit besteht, die Erhebung einer bestimmten Klage zu unterlassen. Selbst bei einem - befristet - abgegebenen Verjährungsverzicht aller Anspruchsgegner können auch im Zeitraum, für den der Verzicht erklärt wurde, Umstände eintreten, die ein weiteres Zuwarten mit einer Klageerhebung unzumutbar erscheinen lassen. Nur falls im Zeitpunkt der tatsächlichen gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen durch den Versicherungsnehmer eine Warteobliegenheit bestünde, hätte dies - hinsichtlich der betreffenden Klagsführung - die Leistungsfreiheit des Versicherers zur Folge. Geht es um die Deckung der Kosten erst künftig zu führender gerichtlicher Verfahren, ist daher iSd bereits vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen auf eine Warteobliegenheit nicht schon im Rahmen des Deckungsprozesses, sondern erst dann Bedacht zu nehmen, wenn der Versicherungsnehmer tatsächlich Klage erhebt und dafür Kostendeckung vom Versicherer verlangt. Die von der Beklagten angestrebte sofortige Abweisung des Begehrens auf Feststellung der Rechtsschutzdeckungspflicht im Hinblick auf eine künftige Klagsführung betreffende Warteobliegenheit ist daher abzulehnen. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass jeglichem Feststellungsbegehren auf Versicherungsdeckung der Boden entzogen würde, wenn der Versicherer auf die Möglichkeit der künftigen Verletzung sekundärer Obliegenheiten verweist.

 

Wie der deutsche BGH wiederholt in Rechtsschutzversicherungsfällen ausgesprochen hat, ist ein Feststellungsinteresse des Versicherungsnehmers in der Regel (schon) dann zu bejahen, wenn die beklagte Partei (etwa - wie hier - als namhafter Versicherer) die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren Vollstreckungstitels bedürfte. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Es ist allerdings der Ansicht des Berufungsgerichts beizupflichten, dass es der Beklagten ungeachtet des Vorliegens eines ihre Deckungspflicht grundsätzlich bejahenden Urteils unbenommen bleiben muss, sich im jeweiligen Anlassfall (im Rahmen einer von ihr erhobenen negativen Feststellungsklage oder ihrer Einwendungen gegen eine von den Klägern mangels Kostendeckung erhobenen Leistungsklage) auf eine Warteverpflichtung zu berufen. Da dazu ja neue Tatsachen behauptet werden müssten (die Einbringung einer Klage gegen AEW etc sowie dass dadurch die Obliegenheit der Warteverpflichtung verletzt worden sei), könnte dem der Einwand der res iudicata nicht entgegengehalten werden.  Denn bisher haben die Kläger unstrittig noch keine Klage gegen ihre drei Anspruchsgegner eingebracht.

 

Wie ausgeführt, ist der Einwand einer Warteobliegenheit nicht geeignet, die Rechtsschutzdeckungsverpflichtung der Beklagten für ein gerichtliches Einschreiten der Klagevertreterin in den genannten Rechtssachen zu beseitigen. Die angefochtene Entscheidung ist daher zu bestätigen.