VwGH: Betriebsanlagengenehmigung iSd § 77 GewO
Ist eine Messung der von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen möglich, ist eine solche vorzunehmen und die bloße Schätzung bzw Berechnung dieser Immissionen aufgrund der Projektsunterlagen unzulässig
§ 77 GewO, § 74 GewO, § 52 AVG
GZ 2010/04/0046, 21.12.2011
VwGH: Die Feststellung, ob die Genehmigungsvoraussetzungen des § 77 GewO vorliegen, ist Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und auf dem Gebiet des Gesundheitswesens. Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben. Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrung zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden. Dem ärztlichen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend den Tatbestandsmerkmalen des § 74 Abs 2 GewO auszuüben vermögen. Die Auswirkungen einer zu genehmigenden Betriebsanlage sind nach der Rsp des VwGH unter Zugrundelegung jener Situation zu beurteilen, in der die Immissionen für die Nachbarn am ungünstigsten, dh am belastendsten sind.
Der VwGH hat bereits ausgesprochen, dass eine Messung der von der Betriebsanlage ausgehenden Immissionen vorzunehmen ist, wenn eine solche möglich ist, und dass (in diesem Fall) die bloße Schätzung bzw Berechnung dieser Immissionen aufgrund der Projektunterlagen unzulässig ist.
Im Beschwerdefall hat der gewerbetechnische Sachverständige keine Messungen sowohl des Umgebungslärms als auch der nach Änderung von der Betriebsanlage bei den Nachbarn hervorgerufenen (Schall-)Immissionen vorgenommen. Vielmehr verweist er für die Bestimmung des Umgebungslärmpegels auf ein Gutachten aus 2008, welches wiederum auf Schallmessungen verweist, die iZm der Erstellung von (nicht näher konkretisierten) Umgebungslärmkarten durchgeführt wurden. Diese Schallmessungen betreffend die P-Straße wurden im Gutachten aus 2008 rechnerisch auf den Standort der Betriebsanlage "ausgeweitet". Diese rechnerische Ausweitung wurde wiederum vom gewerbetechnischen Sachverständigen vorliegend für seine Berechnungen zu Grunde gelegt. Warum eine messtechnische Erfassung der Umgebungslärmsituation der vorliegenden gewerblichen Betriebsanlage iSd oben angeführten Rsp fallbezogen nicht möglich gewesen sei, führt der gewerbetechnische Sachverständige nicht aus. Unter diesen fallbezogenen Umständen erweist sich die solcherart vorgenommene Berechnung als nicht ausreichend.
Was die Beurteilung der durch die beantragte Änderung der Betriebsanlage zu erwartenden Lärmereignisse anlangt, gilt dasselbe: Aus der Natur des Verfahrens nach § 81 GewO als Projektverfahren ergibt sich zwar, dass - sofern das Projekt noch nicht rechtswidrigerweise tatsächlich verwirklicht ist - die von der geänderten Betriebsanlage zu erwartenden Immissionen nicht gemessen, sondern lediglich berechnet werden können. Im Beschwerdefall ist das beantragte Projekt aber insofern bereits verwirklicht, als die baulichen Einrichtungen für den geänderten Betrieb der Betriebsanlage (die belangte Behörde verweist auf ein Garagengebäude sowie einen Waschplatz) bereits bestehen und auch genehmigt sind. Daher ist nicht nachvollziehbar, warum der gewerbetechnische Sachverständige fallbezogen (insbesondere bei der Beurteilung der Schallpegelspitzen durch die Zu- und Abfahrten der Busse und das Öffnen und Schließen des Garagentors) davon ausgegangen ist, dass Messungen der Schallimmissionen nicht möglich seien.
Dies wäre insbesondere im Hinblick auf die zusätzlich zur Nachtzeit zu erwartenden Lärmereignisse erforderlich gewesen. Selbst wenn nämlich die projektierte Änderung in diesem Punkt von der mitbeteiligten Partei darauf beschränkt wurde, dass außerhalb der genehmigten Betriebszeiten, also in der Nacht, pro Tag nur je eine Zu- und Abfahrt stattfindet, so wird auf keine Weise eingegrenzt, wann diese Ereignisse zur Nachtzeit stattfinden; es wäre daher sowohl aus gewerbetechnischer Sicht als auch aus medizinischer Sicht von der für die Nachbarn ungünstigsten, dh belastendsten Situation in der Nacht auszugehen.