28.02.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage des Verjährungsbeginns gem § 1489 ABGB (iZm gerichtlich bestelltem Sachverständigen im Vorprozess)

Das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen steht erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig fest


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verjährung, Beginn, gerichtlich bestellter Sachverständige, Vorprozess, Abschluss des Verfahrens, Schadensminderungspflicht
Gesetze:

§§ 1295 ff ABGB, § 1489 ABGB, § 1304 ABGB, § 2 AHG

GZ 1 Ob 203/11a, 24.11.2011

 

OGH: Die von der Rsp zum Beginn der Verjährungsfrist vertretenen Grundsätze hat der erkennende Senat zuletzt in der Entscheidung 1 Ob 162/10w wie folgt zusammengefasst:

 

„Die Verjährungsfrist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person des Schädigers bekannt geworden sind. LuRsp legen diese Bestimmung dahin aus, dass dies der Fall ist, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann, also in der Lage ist, das zur Begründung seines Ersatzanspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten. Das bedingt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und - bei verschuldensabhängiger Haftung - auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden begründen. Bloße Mutmaßungen über die angeführten Umstände genügen nicht. Erst objektives Bekanntsein der maßgeblichen Tatumstände bedeutet Kenntnis des Schadens. ... Immer hängt aber die Frage, wann eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann, von den Umständen des Einzelfalls ab.“

 

Seit der Entscheidung eines verstärkten Senats (1 Ob 621/95) wird in stRsp judiziert, dass die kurze Verjährungsfrist nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen beginnt, dagegen nicht schon mit dem schädigenden Ereignis (bei Vorhersehbarkeit des künftigen Schadenseintritts). Besteht Ungewissheit darüber, ob überhaupt ein Schaden entstanden ist, und ist über diese Frage ein Rechtsstreit anhängig, ist auf die Rechtskraft der Gerichtsentscheidung bzw den Ausgang eines Verwaltungsverfahrens abzustellen, weil erst dann der Schadenseintritt (= die Zahlungspflicht des Regressberechtigten) „unverrückbar“ feststeht und ausreichend sichere Informationen für eine Schadenersatzklage verfügbar sind.

 

Nach stRsp haftet ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, den Prozessparteien gegenüber für die Folgen dieses Versehens. Ob einer Prozesspartei durch ein solches schuldhaftes Fehlverhalten des Sachverständigen ein Schaden entstanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die Entscheidung im Vorprozess für sie günstiger ausgefallen wäre, wenn der Sachverständige dort ein in allen von ihm begutachteten Fragen richtiges Gutachten abgegeben hätte. Im Regelfall kommt es daher darauf an, ob die Unrichtigkeit des beanstandeten Gutachtens ausschlaggebend für die die Partei beschwerende gerichtliche Entscheidung war.

 

Wird ein Sachverständiger wegen seines in einem gerichtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens in Anspruch genommen, geht es nicht um die behauptete Schädigung durch das Gutachten an sich und damit auch nicht um die Kenntnis der Partei von diesem Gutachten, sondern um dessen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung. Der OGH hat demgemäß bereits ausgesprochen, dass das Ergebnis der gutachterlichen Tätigkeit eines Sachverständigen erst mit Abschluss des Verfahrens endgültig feststeht. Davor fehle es an der wesentlichen Voraussetzung für eine „vorbeugende Feststellungsklage“, nämlich dass sich das schädigende Ereignis, das einen konkreten Schaden hätte auslösen können, bereits ereignet habe. Auch die Beurteilung einer Leistungspflicht wegen unrichtiger Gutachtenserstattung setzt den rechtskräftigen Abschluss des Vorverfahrens voraus. Davor fehlt es an einem dem Beklagten zurechenbaren schädigenden Ereignis. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Verjährungsfrist sei nicht vor Zustellung des die außerordentliche Revision zurückweisenden Beschlusses des OGH in Gang gesetzt worden, orientiert sich an der einhelligen Rsp, wonach die Verjährungsfrist nicht vor Eintritt des Schadens zu laufen beginnt, und bedeutet damit keine vom OGH aufzugreifende Fehlbeurteilung.

 

Es trifft zwar zu, dass auch judiziert wird, im Einzelfall könne eine ausreichende Kenntnis vom Schaden auch gegeben sein, wenn bereits vor Abschluss des (Vor-)Verfahrens gesicherte Verfahrensergebnisse vorlägen. Der Beklagte beruft sich dazu insbesondere auf die Entscheidungen 10 Ob 111/07g und 1 Ob 12/05d, denen aber jeweils nicht die Inanspruchnahme eines Sachverständigen durch eine Verfahrenspartei für sein behauptetermaßen unrichtiges Gutachten zugrunde lag, sondern ein gänzlich anders gearteter Sachverhalt, sodass die darin zum Ausdruck gebrachten Grundsätze auf den vorliegenden Fall, in dem die Frage nach dem Eintritt des Schadens und nicht von dessen Kenntnis zu beurteilen ist, nicht übertragen werden können.

 

Soweit sich der Beklagte darauf stützt, den Klägern hätte mit der Zustellung der Berufungsentscheidung im Vorprozess bewusst sein müssen, dass sie mit ihrer Behauptung, sein Gutachten sei unrichtig, nicht durchdringen würden, weswegen die außerordentliche Revision aussichtslos gewesen sei und den Eintritt des Schadens nicht verhindern habe können, lässt er die grundsätzlich für jeden Geschädigten bestehende Verpflichtung zur Schadensminderung unbeachtet. Es wäre nicht sachgerecht, dass den Klägern die Bemühungen zur Abwendung des Schadenseintritts (hier in Verfolgung ihrer Ansprüche gegen die Beklagte des Vorverfahrens) durch Erhebung von Rechtsmitteln insoferne zum Nachteil gereichten, als die Verjährungsfrist zur Verfolgung von Ansprüchen dem Beklagten gegenüber während des noch nicht rechtskräftigen Vorverfahrens zu laufen begänne. Das folgt aus dem Wesen der Schadensverhinderungs- bzw -minderungspflicht nach § 1304 ABGB. Zur Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG (als Spezialisierung der sich aus dem ABGB ergebenden Schadensminderungspflicht) wird judiziert, dass der Geschädigte den Beginn der Anspruchsverjährung nicht durch Ergreifung offenbar aussichtsloser Abhilfemaßnahmen hinausschieben könne. Demnach wird die Anspruchsverjährung nicht in Gang gesetzt, solange das Scheitern einer - ex ante betrachtet nicht aussichtslosen - Rettungsmaßnahme nicht feststeht. Auch wenn die Bestimmung des § 2 Abs 2 AHG als Ausnahmevorschrift grundsätzlich nicht analogiefähig ist, gilt auch hier, dass nur ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel den Beginn der Verjährungsfrist nicht hinausschieben kann. Die Frage, ob die Kläger mit ihrer außerordentlichen Revision im Vorverfahren eine offenbar aussichtslose Abhilfemaßnahme ergriffen haben, im Zeitpunkt der Erhebung dieses Rechtsmittels also ein nicht mehr abwendbarer und daher bereits unabänderlicher Schaden vorlag, betrifft den Beginn der Verjährungsfrist und begründet schon wegen der Kasuistik des Einzelfalls - von einer auffallenden Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage.