OGH: Invalidität gem § 255 ASVG und Rehabilition – zur Verweisbarkeit nach § 255 Abs 6 ASVG
Solange die Voraussetzungen des § 255 Abs 6 ASVG nicht vorliegen, verhindert die erfolgreiche Rehabilitation den Pensionsanfall; eine Bedachtnahme auf die umgeschulte Tätigkeit beim Verweisungsfeld setzt grundsätzlich nur die erfolgreiche Ausbildung bzw Umschulung voraus, nicht aber dass der Versicherte auch tatsächlich in dem umgeschulten Beruf tätig war; die Arbeitslosigkeit kann jedenfalls dann nicht zum Anfall der Pension führen, wenn der Versicherte die Möglichkeit gehabt hätte, nach der Rehabilitation eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen
§ 255 ASVG, § 254 ASVG, § 86 ASVG, § 300 ASVG
GZ 10 ObS 124/11z, 17.01.2012
OGH: Es entspricht stRsp, dass der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension“ auch für Versicherte gilt, denen ein Berufsschutz zukommt. Den gesetzlichen Bestimmungen ist eine Einschränkung dahingehend, dass dem Versicherten im Rahmen der beruflichen Rehabilitation nur eine Berufsausübung im Rahmen des (bisherigen) Verweisungsfeldes ermöglicht werden soll, nicht zu entnehmen. Nach § 198 Abs 1 ASVG soll der versicherte Versehrte durch die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation in die Lage versetzt werden, seinen früheren oder, wenn dies nicht möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben. Eine Einengung auf den bisherigen Beruf ist aus § 198 ASVG nicht zu entnehmen, vielmehr verpflichtet das Gesetz den Unfallversicherungsträger ganz allgemein zur beruflichen Rehabilitation, um den Wiedereinstieg in den bisherigen Beruf oder einen anderen Beruf zu ermöglichen. § 198 Abs 1 ASVG ist auch im Bereich der Pensionsversicherung anzuwenden. Die Rehabilitation knüpft somit nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf an, sondern ermöglicht dem Versicherten auch die Ausbildung für eine neue berufliche Tätigkeit. Es kann demnach grundsätzlich auch zu einer Umschulung eines überwiegend in erlernten Berufen tätig gewesenen Versicherten auf einen anderen vergleichbar qualifizierten Beruf mit anderer Ausbildung und anderen zur Ausübung erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten kommen.
Macht ein Versicherter von der Möglichkeit der beruflichen Rehabilitation erfolgreich Gebrauch, ist der Berufsschutz nicht mehr nur auf seine ursprüngliche Tätigkeit, zu deren Ausübung er nach wie vor nicht in der Lage ist, eingrenzt. Der Gesetzgeber hat die Verweisbarkeit ausgedehnt. Der Versicherte ist bei Prüfung der Voraussetzungen für die Invalidität jedenfalls auf Tätigkeiten verweisbar, für die er unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit durch Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist (§ 255 Abs 5 ASVG). Konsequenz dieser erweiterten Verweisbarkeit ist, dass Invalidität nicht mehr gegeben ist, wenn der Versicherte die Tätigkeit, auf die er rehabilitiert worden ist, ausüben kann.
Wurde dem Versicherten durch Maßnahmen der Rehabilitation die Ausübung eines neuen Berufs ermöglicht, dann gilt er auch als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit in den Berufen, zu denen ihn die Rehabilitation befähigt hat, auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist (§ 255 Abs 6 ASVG).
§ 255 Abs 6 ASVG ist dahin zu verstehen, dass sich der Gesetzgeber entschlossen hat, den Berufsschutz des erfolgreich Rehabilitierten auf jenen Beruf zu übertragen, zu dem ihn die Rehabilitation befähigt hat. Das in § 255 Abs 6 ASVG enthaltene Wörtchen „auch“ steht lediglich iZm der - hier nicht gegebenen - Weitergewährung der Pension an einen im § 300 Abs 1 ASVG bezeichneten Pensionisten. Der Ausdruck „auch“ macht nur deutlich, dass für die Beurteilung, ob in diesem Fall die Voraussetzung für die bereits vor Rehabilitation zuerkannte Pension noch gegeben sind, § 255 Abs 3 ASVG heranzuziehen ist.
Solange die Voraussetzungen des § 255 Abs 6 ASVG nicht vorliegen, verhindert die erfolgreiche Rehabilitation den Pensionsanfall. Die erfolgreiche Rehabilitation wirkt insofern als Leistungsausschlussgrund.
Gleichgültig für die Frage der Verweisbarkeit ist, ob die Rehabilitation aus der Unfall- oder aus der Pensionsversicherung gewährt wurde. Zwar kommen der Unfallversicherung und der Pensionsversicherung unterschiedliche Aufgaben zu. Während es bei der Unfallversicherung primär um die Linderung bzw Beseitigung der Versehrtheit, also der durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit verursachten Behinderung geht, liegt bei der Pensionsversicherung die Zielsetzung der Rehabilitationsleistung in der Wiedereingliederung in das Berufsleben und die Verhinderung und Beseitigung von Invalidität und Berufsunfähigkeit. Erbringt aber ein Träger Rehabilitationsmaßnahmen, erfüllt er damit zugleich die Verpflichtung des anderen Trägers. Es ist daher nicht von Bedeutung, ob die Rehabilitation aus der Unfallversicherung oder aus der Pensionsversicherung gewährt wurde. Infolge des allgemeinen Zwecks beruflicher Rehabilitation ist auch die im Rahmen der Unfallversicherung erfolgreich abgeschlossene Ausbildung des Klägers für den Beruf des Sozialpädagogen beim Verweisungsfeld für Invalidität zu berücksichtigen.
Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit ausgezeichnet, dass der Kläger trotz erfolgreicher Absolvierung der Umschulung zum Sozialpädagogen eine Tätigkeit in diesem Beruf niemals aufgenommen hat, obwohl ausreichend Arbeitsplätze in diesem Beruf zur Verfügung gestanden wären und weiterhin zur Verfügung stehen.
Nach der Ansicht von Jabornegg und Resch bleibt diese Situation für die Erweiterung des Verweisungsfelds ohne Auswirkungen. In ihrem Aufsatz Rehabilitation vor Rente, ZAS 1999, 65 [74] vertreten sie den Standpunkt, eine Bedachtnahme auf die umgeschulte Tätigkeit beim Verweisungsfeld setze grundsätzlich nur die erfolgreiche Ausbildung bzw Umschulung voraus, nicht aber dass der Versicherte auch tatsächlich in dem umgeschulten Beruf tätig war. Dies ergebe sich unmittelbar aus der Anordnung des § 255 Abs 4 ASVG (aF) bzw des § 273 Abs 2 ASVG (aF), wonach dann, wenn jemand durch Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden sei, jedenfalls Tätigkeiten als zumutbar gelten, zu denen die Rehabilitation befähigt.
B. Karl (Rehabilitation in der Pensionsversicherung, DRdA 2008/103 [110]) vertritt die Ansicht, die Arbeitslosigkeit könne jedenfalls dann nicht zum Anfall der Pension führen, wenn der Versicherte die Möglichkeit gehabt hätte, nach der Rehabilitation eine zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Andernfalls hätte es der Versicherte in der Hand, den in der Wiedereingliederung in das Berufsleben bestehenden Erfolg der Rehabilitation zu vereiteln, indem er zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten ausschlägt. Eine durch die Rehabilitation bewirkte Wiedereingliederung in das Berufsleben liege somit immer dann vor, wenn der Betreffende im erweiterten Verweisungsfeld die Möglichkeit hat, eine zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
Diesen überzeugenden Argumenten ist zu folgen. Dass der Kläger seinen Rehabilitationsberuf seit der erfolgreichen Beendigung der Ausbildung niemals ausgeübt hat, obwohl ihm dies nach den Feststellungen durchaus möglich gewesen wäre, hat demnach außer Betracht zu bleiben.
Dem Umstand, dass ein Pensionswerber nach Beendigung der Rehabilitationsmaßnahme (tatsächlich) keinen konkreten Arbeitsplatz erlangt hat, kommt für die Frage des Pensionsanfalls iSd § 86 Abs 3 Z 2 letzter Satz ASVG keine Bedeutung zu. Dies wurde va damit begründet, dass im österreichischen Pensionsversicherungsrecht die abstrakte - und nicht die konkrete - Betrachtungsweise Tradition hat. Demnach bleibt das Vorbringen des Revisionswerbers, er habe nach Absolvierung der Umschulung zum Sozialpädagogen in diesem Beruf tatsächlich keinen Arbeitsplatz finden können, für die Beurteilung seiner Verweisungsmöglichkeiten ohne Einfluss.
Auch sein Einwand der Unzumutbarkeit der Umschulung ist nicht überzeugend:
Der Nichtanfall einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit kann grundsätzlich nur dann eintreten, wenn dem Versicherten die Rehabilitationsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit zumutbar sind (§§ 86 Abs 3 Z 2 letzter Satz und § 307b ASVG). Werden dem Versicherten Maßnahmen der Rehabilitation gewährt und sind ihm diese Maßnahmen zumutbar, so ist im Anstaltsverfahren zwar das Bestehen der geminderten Arbeitsfähigkeit festzustellen. Die Pension aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit fällt aber erst dann an, wenn durch die Rehabilitationsmaßnahme die Wiedereingliederung des Versicherten in das Berufsleben nicht bewirkt werden kann (§ 86 Abs 3 Z 2 ASVG). Erachtet ein Versicherter die ins Auge gefasste Rehabilitationsmaßnahme als nicht zumutbar, kann er einen derartigen vom Pensionsversicherungsträger erlassenen Bescheid durch Klage bei Gericht anfechten. Im gerichtlichen Verfahren ist dann - ausgehend von der geminderten Arbeitsfähigkeit - als Vorfrage des Geldleistungsanspruchs zu prüfen, ob die im Anstaltsverfahren angebotene bzw für ihn ins Auge gefasste Maßnahme der Rehabilitation zumutbar ist.
Anderes gilt im vorliegenden Fall, in dem der Kläger fünf Jahre nach erfolgreichem Abschluss der Rehabilitationsmaßnahme die Klage auf Gewährung der Invaliditätspension erhebt. Wie sich aus § 255 Abs 6 ASVG ergibt, ist nach Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation, durch die das im § 300 Abs 3 ASVG angestrebte Ziel erreicht wurde, (nur) zu prüfen, ob der Versicherte als invalid gilt, weil seine Arbeitsfähigkeit in den Berufen, zu denen ihn die Rehabilitation befähigt hat, infolge seines körperlichen oder geistigen Zustands auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Solange diese Voraussetzung nicht vorliegt, wirkt - wie oben bereits ausgeführt - die erfolgreich abgeschlossene Rehabilitationsmaßnahme als Leistungsausschlussgrund. Nicht mehr Verfahrensgegenstand ist also die Frage, ob die mittlerweile Jahre zurückliegende, - damals mit Zustimmung des Versicherten und unter dessen Mitwirkung erfolgreich abgeschlossene - berufliche Rehabilitation diesem seinerzeit zumutbar war. Auf den im nunmehrigen Verfahren erhobenen Einwand des Klägers, die Umschulung zum Sozialpädagogen wäre ihm (doch) nicht zumutbar gewesen, muss demnach nicht eingegangen werden.