OGH: Schutz vor Gewalt in Wohnungen – zur Frage des Verhältnisses der einstweiligen Verfügungen nach § 382b Abs 1 EO und § 382e Abs 1 EO betreffend den Schutz im Wohnbereich
Bei Gewalt in der Wohnung steht es dem Gefährdeten frei, ob er den Gewaltschutz nach § 382b EO (mit Nachweis des dringenden Wohnbedürfnisses) oder nach § 382e EO (mit Interessenabwägung) geltend machen will
§ 382b EO, § 382e EO
GZ 7 Ob 201/11a, 30.11.2011
OGH: Nach § 382b Abs 1 EO (Schutz vor Gewalt in Wohnungen) hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammenleben unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. das Verlassen der Wohnung und deren unmittelbarer Umgebung aufzutragen und 2. die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung zu verbieten, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dient. Nach § 382e Abs 2 EO kann die einstweilige Verfügung für längstens sechs Monate getroffen werden, wenn keine Frist zur Einbringung der Klage bestimmt wird.
Nach § 382e Abs 1 EO (Allgemeiner Schutz vor Gewalt) hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag 1. den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten und 2. aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden, soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen. Nach § 382e Abs 2 EO kann die einstweilige Verfügung für längstens ein Jahr getroffen werden, wenn keine Frist zur Einbringung der Klage bestimmt wird.
Nach den Gesetzesmaterialien dient das 2. Gewaltschutzgesetz (2. GeSchG), auf dem diese Bestimmungen beruhen, dem Zweck, den Gewaltschutz auszubauen. Es sollen in der Praxis aufgetretene Defizite und Schutzlücken bei den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Gewalt in der Familie und bei den einstweiligen Verfügungen zum Schutz vor Eingriffen in die Privatsphäre beseitigt werden. § 382b Abs 1 EO (Unzumutbarkeit des Zusammenlebens) und § 382b Abs 2 EO (Unzumutbarkeit des Zusammentreffens) sollen auf zwei gesonderte Bestimmungen (§§ 382b und 382e EO) aufgeteilt werden, um dem unterschiedlichen Charakter dieser einstweiligen Verfügungen besser gerecht werden zu können. Dadurch soll verdeutlicht werden, dass es sich um zwei unterschiedliche Tatbestände mit unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlichen Anforderungsbefugnissen handelt. Auf diese weit gefassten Voraussetzungen soll die neue Paragraphenüberschrift „Allgemeiner Schutz vor Gewalt“ hinweisen. Die Differenzierung hinsichtlich der Dauer zwischen den beiden Verfügungen ist insofern gerechtfertigt, als der Eingriff in die Rechte des Antragsgegners bei einem bloßen Aufenthalts- bzw Kontaktaufnahmeverbot weniger intensiv ist als bei einer Wegweisung aus der eigenen Wohnung.
Das Verhältnis zwischen § 382b Abs 1 EO und § 382e Abs 1 EO und damit auch die Frage, ob der Antragsteller seinen Schutz im Wohnbereich auch nach § 382e EO sicherstellen kann, wird weder vom Gesetzeswortlaut noch von den Materialien geklärt.
Eindeutig erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, den Rechtsschutz auszudehnen und allfällige Rechtsschutzlücken zu schließen. Mit dem neu geschaffenem § 382e EO wurde - wie schon in der Überschrift zum Ausdruck kommt - der allgemeine Schutz vor Gewalt normiert. Diese Bestimmung greift ein, wenn das Zusammentreffen wegen der im Gesetz genannten Umstände nicht zumutbar ist. Der allgemeine Schutz vor Gewalt setzt eine Interessenabwägung voraus. Demgegenüber bedarf es bei einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO beim Schutz vor Gewalt in der Wohnung keiner Interessenabwägung, dafür muss die Wohnung aber der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dienen. Die beiden Gesetzesbestimmungen normieren also unterschiedliche Tatbestandsmerkmale. § 382b EO erleichtert gegenüber § 382e EO den Gewaltschutz für den Fall, dass der Antragsteller ein dringendes Wohnbedürfnis hat, weil keine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Insofern ist der Schutz vor Gewalt in der Wohnung nach § 382b EO privilegiert. Dies bedeutet aber nicht, dass Gewaltschutz in der Wohnung ausschließlich nach § 382b EO erlangt werden könnte. Würde man nämlich diese Ansicht vertreten, entstünde eine Rechtsschutzlücke (die es nach dem Willen des Gesetzgebers zu verhindern galt), falls der Antragsgegner Gewalt in einer Wohnung ausübt, an der der Antragsteller kein dringendes Wohnbedürfnis hat (etwa bei einem Zweitwohnsitz) oder ein solches nicht bescheinigen kann. Der Gefährdete könnte sich dann nicht auf § 382b EO stützen. Würde man ihm aber den allgemeinen Schutz nach § 382e EO mit der Begründung versagen, der Schutz in der Wohnung sei abschließend in § 382b EO geregelt, könnte er sich nicht zur Wehr setzen, auch wenn eine Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausschlagen würde. Wäre bei der Frage, ob § 382b oder § 382e EO zur Anwendung kommt, allein auf das dringende Wohnbedürfnis des Gefährdeten abzustellen, dann wäre der Gefährdete bei dringendem Wohnbedarf (etwa an der Ehewonung) nur bis sechs Monate, ansonsten (etwa am Zweitwohnsitz) aber bis zwölf Monate zu schützen. Die unterschiedliche Dauer, für die die einstweiligen Verfügungen nach den beiden Bestimmungen erlassen werden können, ist kein Argument gegen die erzielte Auslegung. Der Unterschied ist dadurch gerechtfertigt, dass nach § 382e EO eine Interessenabwägung stattfindet, bei der ohnehin die konkrete Lebenssituation der Beteiligten berücksichtigt werden muss, nach § 382b EO aber nicht.