OGH: Verletzung des rechtlichen Gehörs iSd § 15 AußStrG
Die Möglichkeit der schriftlichen Äußerung zu Beweisergebnissen bezieht sich nur auf außerhalb der Verhandlung aufgenommene Beweise; ein Anspruch darauf, Ergebnisse einer mündlichen Verhandlung nachträglich mit Schriftsatz zu kommentieren, besteht nicht
§ 15 AußStrG, Art 6 EMRK
GZ 16 Ok 8/10, 12.12.2011
Die Antragstellerin erblickt eine Verletzung rechtlichen Gehörs darin, dass der Sachverständige die von ihr gestellten Ergänzungsfragen schriftlich beantwortet hat und ihr das entsprechende Memorandum (24 Seiten) erst zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 7. 7. 2010 überreicht wurde. Es sei den Parteien damit unmöglich gewesen, sich in ihrem Vorbringen und in ihren Äußerungen in der mündlichen Verhandlung auch auf die Ergänzungen des Sachverständigen zu beziehen. Die Antragstellerin habe eine weitere schriftliche Äußerung beantragt. Der Senat habe erwidert, dass „derzeit“ kein Auftrag zu einer weiteren schriftlichen Ergänzung durch die Parteien vorgesehen sei. Das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen, den Parteien Gelegenheit zu geben, sich zu den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung zu äußern oder zumindest die Parteien zu informieren, falls es der Auffassung gewesen sein sollte, dass das Verfahren entscheidungsreif sei.
OGH: Dem kann nicht gefolgt werden. Das rechtliche Gehör einer Partei ist gewahrt, wenn ihr Gelegenheit gegeben wird, ihren Standpunkt darzulegen und wenn sie sich zu allen Tatsachen und Beweisergebnissen äußern konnte, die der Entscheidung zugrunde gelegt werden.
Im vorliegenden Fall hatten die Parteien in der Verhandlung ausreichend Gelegenheit, zu den Ausführungen des Sachverständigen Stellung zu nehmen. Die schriftliche Vorbereitung der Beantwortung der von der Antragstellerin gestellten Ergänzungsfragen durch den Sachverständigen vermochte das rechtliche Gehör der Antragstellerin nicht zu beeinträchtigen. Auch wenn die Fragen erst im Rahmen der mündlichen Verhandlung beantwortet worden wären, hätte die Antragstellerin sofort dazu Stellung nehmen müssen. Die Möglichkeit der schriftlichen Äußerung zu Beweisergebnissen bezieht sich nur auf außerhalb der Verhandlung aufgenommene Beweise. Ein Anspruch darauf, Ergebnisse einer mündlichen Verhandlung nachträglich mit Schriftsatz zu kommentieren, besteht nicht; dies liefe auch dem Leitbild der mündlichen Verhandlung zuwider.