24.01.2012 Zivilrecht

OGH: Zur Frage, ob eine (überwiegende) Teilrückstellung der Bestandsache die Präklusivfrist des § 1111 ABGB auslöst

Eine Rückstellung kann grundsätzlich nur angenommen werden, wenn dem Bestandgeber das Bestandobjekt vollständig übergeben wird; da die Rückstellung die Verschaffung der Innehabung und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit umfasst, reicht es für die Zurückstellung iSd § 1111 ABGB nicht aus, dass der Bestandgeber einen nicht auf eigener Sachherrschaft beruhenden Zutritt - sei es auch mit Zustimmung des Bestandnehmers - zu dem Bestandobjekt hat und so das Bestandobjekt besichtigen kann


Schlagworte: Bestandrecht, (überwiegende) Teilrückstellung der Bestandsache, Präklusivfrist, Ersatzanspruch, Sachherrschaft, Besichtigung
Gesetze:

§ 1111 ABGB

GZ 6 Ob 25/11m, 24.11.2011

 

OGH: § 1111 ABGB normiert eine verschuldensabhängige Haftung des Bestandnehmers für Beschädigung oder missbräuchliche Abnützung des Bestandobjekts und befristet die gerichtliche Geltendmachung oder die (auch außergerichtliche) Aufrechnung darauf gestützter Ersatzansprüche mit einem Jahr ab Zurückstellung des Bestandobjekts. Dieser Präklusivfrist unterliegen auch Ersatzansprüche wegen Nichtwiederherstellung des ursprünglichen Zustands oder Fehlens von Inventar. Sie gilt auch für Forderungen, die aus der Verletzung einer vertraglichen, gegenüber den gesetzlichen Regelungen verschärften Pflicht resultieren. Für die Ersatzansprüche der Klägerin, die Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, gilt demnach die Präklusivfrist des § 1111 ABGB.

 

Die Frist des § 1111 ABGB beginnt nach dem Gesetzeswortlaut mit der „Zurückstellung des Bestandstückes“ zu laufen. Zweck der Fristbestimmung ist es, die Ansprüche des Bestandgebers gegen den Bestandnehmer nach Rückstellung der Bestandsache möglichst rasch einer Klärung zuzuführen. Der Bestandgeber hat daher nach Rückstellung der Bestandsache von sich aus tätig zu werden und die Bestandsache auf Mängel zu untersuchen. Die Rückstellung des Bestandobjekts nach § 1111 ABGB ist nicht identisch mit der Rückstellung nach § 1109 ABGB. Der Fristenlauf wird nämlich auch dann durch die Rückstellung der Bestandsache ausgelöst, wenn sich diese nicht in dem von § 1109 geforderten oder sonst vereinbarten Zustand befindet. Die Rückstellung von unbeweglichen  Sachen umfasst deren Räumung, also die Entfernung aller nicht in Bestand gegebenen Fahrnisse und Übergabe, dh die Verschaffung der Innehabung und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit, wozu bei versperrbaren Objekten auch die Schlüsselübergabe erforderlich ist.

 

Da die Rückstellung die Verschaffung der Innehabung und tatsächlichen Verfügungsmöglichkeit umfasst, reicht es für die Zurückstellung iSd § 1111 ABGB nicht aus, dass der Bestandgeber einen nicht auf eigener Sachherrschaft beruhenden Zutritt - sei es auch mit Zustimmung des Bestandnehmers - zu dem Bestandobjekt hat und so das Bestandobjekt besichtigen kann. Die Rückstellung soll den Bestandgeber in die Lage versetzen, sich aufgrund eigener Sachherrschaft in Ruhe ein umfassendes Bild von Beschädigungen,  Veränderungen oder übermäßigen Abnutzungen des Bestandobjekts zu machen. Dass der Prokurist der Klägerin nach der Schlüsselübergabe auch die Räumlichkeiten und Flächen besichtigen konnte, die die Beklagte nicht zurückgab und weiter nutzte, bedeutete somit keine Rückstellung auch dieser Teile der Fremdenpension.

 

Eine Rückstellung des Bestandobjekts iSd § 1111 ABGB an den Bestandgeber kann grundsätzlich nur angenommen werden, wenn dem Bestandgeber das Bestandobjekt vollständig übergeben wird. Insbesondere bei Gesamtsachen (§ 302 ABGB) und bei einer aus mehreren Teilen bestehenden Bestandsache beginnt die Präklusivfrist in der Regel erst mit der Rückstellung des letzten Teils. Zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz je nach Sachlage des Einzelfalls - etwa beim Wohnungsmietvertrag, wenn die Bestandsache aus räumlich getrennten und selbständig nutzbaren Teilen besteht und der Mieter die Wohnung zurückgibt, nicht aber die Kellerräume muss im Anlassfall nicht abschließend Stellung genommen werden. Eine derartige Ausnahme kommt hier nicht in Betracht, kann doch nach der Lage des Falls nicht davon ausgegangen werden, dass die zurückgegebenen Teile der Fremdenpension ohne die von der Beklagten weiter benutzten Lagerräumlichkeiten für die Klägerin wirtschaftlich nutzbar waren. Im Allgemeinen erwarten nämlich an der Pacht einer Fremdenpension Interessierte ausreichende Lagermöglichkeiten in den Räumlichkeiten der Fremdenpension.

 

Da mangels vollständiger Rückstellung der Fremdenpension die Präklusivfrist bei Klagseinbringung noch nicht einmal begonnen hatte, kann eine Klagsabweisung nicht mit der Präklusion des Anspruchs begründet werden.

 

Es kann daher auch auf sich beruhen, ob eine vollständige Räumung seitens des Bestandnehmers unbedingte Voraussetzung für die Anwendung des § 1111 ABGB ist oder ob nicht eine teilweise Räumung genügt, wenn der Bestandnehmer ausgezogen ist und der Bestandgeber die Bestandsache aufgrund eigener Sachherrschaft untersuchen kann.