OGH: § 1489 ABGB – Verjährung von Schadenersatzansprüchen (aus fehlerhafter Anlageberatung)
Wenn der Anleger eine risikolose Anlage („kein Kapitalrisiko“) zu erwerben wünscht, ihm jedoch der Berater eine riskante Anleihe empfiehlt, ist der Schaden in Form einer nicht gewollten Vermögensumschichtung bereits mit dem Erwerb der riskanten Anleihe eingetreten, deren Sicherheit der Rückzahlung in Höhe des Nominalwerts nicht bestand; die Kenntnis vom Eintritt eines Teilschadens reicht für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist aus; für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es entscheidend darauf an, wann der Geschädigte die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann
§ 1489 ABGB
GZ 1 Ob 85/11y, 29.09.2011
OGH: Nach stRsp des OGH liegt der Schaden bei fehlerhafter Anlageberatung bereits im Erwerb nicht gewünschter Vermögenswerte, die der Kunde bei richtiger Beratung nicht gekauft hätte. Auf die spätere Kursentwicklung des Finanzprodukts und die dafür maßgebenden Gründe kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dies entspricht dem weiten Schadensbegriff des ABGB, wonach jeder rechtliche Nachteil einen Schaden darstellt, somit jeder Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht. Für das Vorliegen eines „realen“ Schadens ist eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich. Es reicht aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspricht.
Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in welchem dem Geschädigten sowohl der Schaden und die Person des Schädigers als auch die Schadensursache bekannt geworden ist. Für den Beginn der Verjährungsfrist kommt es entscheidend darauf an, wann der Geschädigte die für eine erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann. Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Es darf jedoch die Erkundigungspflicht des Geschädigten nicht überspannt werden. Die Kenntnis des Geschädigten hat den gesamten anspruchsbegründenden Sachverhalt zu umfassen, wozu im Fall einer Verschuldenshaftung auch die Klarheit über das Verschulden des Schädigers zählt.
Nach den Feststellungen wollte der Kläger eine sichere Anlageform und kein Kapitalrisiko eingehen. Er kaufte nach der Beratung durch den Regionalleiter der Beklagten, wonach mit einem Ausfall der argentinischen Anleihe normalerweise nicht zu rechnen und Zahlungsunfähigkeit praktisch nicht vorstellbar sei, die 9 % Republik Argentinien Anleihe 99-06. Ab 2001 geriet die Republik Argentinien mit ihrem „Schuldendienst“ (gemeint: ihren Zinszahlungen) in Verzug und tilgte am Ende der Laufzeit diese Anleihe nicht. Wenn der Anleger eine risikolose Anlage („kein Kapitalrisiko“) zu erwerben wünscht, ihm jedoch der Berater eine riskante Anleihe empfiehlt, ist der Schaden in Form einer nicht gewollten Vermögensumschichtung bereits mit dem Erwerb der riskanten Anleihe eingetreten, deren Sicherheit der Rückzahlung in Höhe des Nominalwerts nicht bestand. Diesen Schaden begehrt der Kläger in der Form seines Schadenersatzbegehrens durch Naturalrestitution, bei dem er die Rückzahlung des Kaufpreises der Argentinien-Anleihe samt Verzinsung für eine alternative Anlage (Sparbuch) ab dem Zeitpunkt des Erwerbs verlangt.
Vom Eintritt des (realen) Schadens ist die subjektive Kenntnis des Geschädigten von diesem Schaden zu unterscheiden. Kenntnis von seinem (realen) Schaden iSd § 1489 ABGB - der getätigte Kauf der Argentinien Anleihe 99-06 entspricht wegen des vorhandenen Kapitalverlustrisikos nicht seinem Wunsch nach einer sicheren Anlage, den er dem Berater der Beklagten gegenüber artikuliert hatte - erlangte der Kläger spätestens im Jahr 2003. Nach den Feststellungen geriet die Republik Argentinien ab 2001 mit ihrem „Schuldendienst“ in Verzug (sie bezahlte keine Zinsen mehr) und machte ab 2003 Umschuldungsangebote, die dem Kläger von der Beklagten weitergeleitet wurden. Die Umschuldungsangebote waren dergestalt, dass die Argentinien-Anleihe relativ schnell mit einem Kapitalabschlag zurückgezahlt wird oder verbunden mit einer längeren Laufzeit bei voller Kapitaltilgung, womit auch ein niedriger Zinssatz verbunden war. Durch diese alternativen Umschuldungsangebote wurde der Kläger vom realen Schaden in Kenntnis gesetzt, entspricht doch weder ein Abschlag vom Nominalkapital noch eine Kapitaltilgung nach dem 26. 4. 2006 (samt niedrigeren Zinsen) seinem Interesse an der vollständigen Kapitaltilgung am Ende der Laufzeit der gezeichneten Anleihe. Dass der Kläger aufgrund der Umschuldungsangebote, die nach seinem Vorbringen in den Jahren 2003 bis 2005 gemacht wurden, in Kenntnis des eingetretenen realen Schadens war, ergibt sich unmittelbar daraus, dass er im Nominale von 70.000 EUR ein derartiges Umschuldungsangebot annahm, wodurch sich seine Wertpapierposition der 9 % Republik Argentinien Anleihe 99-06 reduzierte. Die Kenntnis vom Eintritt eines Teilschadens reicht für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist aus. Zwar war erst am 26. 4. 2006 „definitiv“, dass der Kapitalbetrag der 9 % Republik Argentinien Anleihe 99-06 nicht zurückgezahlt wird, jedoch betrifft dieser Umstand lediglich die konkrete Bezifferung des Schadens, dessen endgültige vermögensmäßige Entwicklung zunächst noch nicht abgeschlossen ist. Infolge der unterbliebenen Zinszahlungen und der Umschuldungsangebote ab 2003, von denen der Kläger eines annahm und damit seinen Schaden teilweise realisierte, musste ihm im Jahr 2003 bewusst sein, dass die erhaltene Beratung unrichtig war und ihm gerade kein kapitalsicheres Produkt empfohlen wurde. Zu diesem Zeitpunkt war auch ein subjektives Fehlverhalten des Regionalleiters der Beklagten für den Kläger erkennbar. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass ihn eine Erkundigungsobliegenheit traf. Wenn er zunächst aufgrund der Geschäftsbeziehung zur Beklagten Hemmungen hatte, diese zu klagen, und erst im Jahr 2008 Kontakt mit dem Klagevertreter aufnahm, der ihm mitteilte, dass es schon 1999 Börsenprospekte gegeben habe, die die Argentinien-Anleihen als sehr hohes Risiko bezeichnet hätten, ist nicht recht verständlich, warum er diesen sachkundigen Rat - abgesehen von der damals noch aufrechten Geschäftsbeziehung zur Beklagten - nicht bereits 2003 in Anspruch nahm. Dass ein gewisses Risiko dieser Anleihe bereits im Beratungszeitpunkt in Fachkreisen bekannt war, hätte er offenkundig (etwa durch Anfrage bei einer Bank) angesichts der Feststellungen zum Inhalt des Offering Circulars und zu den Ratings ohne nennenswerte Mühe auch schon im Jahr 2003 in Erfahrung bringen können.
Beschwichtigungen der Beklagten, wie sie den Entscheidungen 3 Ob 40/07i und 9 Ob 17/07a (betreffen ebenfalls Argentinien-Anleihen) zu Grunde lagen, wurden hier nicht festgestellt. So war nicht feststellbar, ob dem Kläger ein Mitarbeiter der Beklagten geraten hatte, die Umtauschangebote nicht anzunehmen, und auch nicht, ob ihm ein Mitarbeiter zusagte, dass am Ende der Laufzeit das volle Kapital zur Auszahlung gelangen werde. Die Mitteilung im Jahr 2005, nachdem der Kläger bereits ein Umschuldungsangebot angenommen hatte, dass es nach wie vor Verhandlungen gebe, damit die Republik Argentinien in die Lage versetzt werde, die Altschulden abzudecken, ist im konkreten Fall nicht als Beschwichtigungsversuch zu werten.
Ausgehend von der Kenntnis des Klägers von (realem) Schaden und Schädiger gem § 1489 erster Satz ABGB im Jahr 2003 ist der erst am 11. 3. 2009 eingeklagte Anspruch auf Schadenersatz durch Naturalrestitution verjährt.