OGH: Linksabbiegen in einer Linkskurve und Verletzung der Schutznorm des § 11 Abs 1 StVO
Nach stRsp begründet die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Einbiegen (ua) dann ein Verschulden des abbiegenden Lenkers, wenn dieser damit rechnen musste, dass ein nachfolgender Verkehrsteilnehmer die Stelle, an der abgebogen werden soll, nicht ausreichend erkennen kann
§§ 1295 ff ABGB, § 1311 ABGB, § 11 StVO, § 12 StVO, § 15 StVO
GZ 2 Ob 37/12y, 24.04.2012
OGH: Bei der Verletzung eines Schutzgesetzes trifft den Geschädigten die Beweislast für den Schadenseintritt und die Verletzung des Schutzgesetzes, wobei der Nachweis der Tatsache ausreichend ist, dass die Schutznorm objektiv übertreten wurde. Der Schädiger hat dagegen zu beweisen, dass ihm die objektive Übertretung der Schutznorm nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, etwa weil ihn an der Übertretung kein Verschulden traf.
Konnte bei einer behaupteten Verletzung der §§ 11 und 12 StVO nicht festgestellt werden, dass der Unfallgegner iSd § 11 Abs 2 StVO die Änderung seiner Fahrtrichtung nicht rechtzeitig anzeigte bzw sich rechtzeitig einordnete (§ 12 Abs 1 StVO), so wurde der Nachweis einer objektiven Übertretung dieser Schutznormen nicht erbracht.
Das Berufungsgericht hat die erstinstanzliche Feststellung über das Einordnen des Beklagtenfahrzeugs zur Fahrbahnmitte und zum Setzen des linken Blinkers als Negativfeststellung (iSe non liquet) interpretiert. Davon ausgehend stimmen seine Ausführungen zur Beweislastverteilung mit der Rsp überein. Der Kläger lässt diese Rechtsansicht nicht nur unbekämpft, sondern pflichtet ihr in seinem Rechtsmittel ausdrücklich bei. Unter diesen Umständen ist dem Erstbeklagten jedenfalls kein Verstoß gegen die Schutznormen des § 11 Abs 2 und des § 12 Abs 1 StVO vorwerfbar.
Anders verhält es sich allerdings mit der ihm ebenfalls angelasteten Verletzung der Schutznorm des § 11 Abs 1 StVO:
Nach stRsp begründet die Unterlassung eines weiteren Rückblicks unmittelbar vor dem Einbiegen (ua) dann ein Verschulden des abbiegenden Lenkers, wenn dieser damit rechnen musste, dass ein nachfolgender Verkehrsteilnehmer die Stelle, an der abgebogen werden soll, nicht ausreichend erkennen kann.
Das Erstgericht hat festgestellt, dass aus 140 m Entfernung (Tunnelausfahrt) noch keine Sicht auf die vom Erstbeklagten angesteuerte Parkplatz-Einfahrt bestand. Eine genaue Feststellung, aus welcher Entfernung der Kläger nun tatsächlich erstmals Sicht auf diese Einfahrt erlangen konnte, liegt zwar nicht vor. Die beklagten Parteien haben sich aber in ihrem Prozessvorbringen selbst darauf gestützt, dass die Linkskurve unübersichtlich und für den Kläger nicht einsehbar bzw „die Sicht durch Baumbewuchs zur Einfahrt hin, in die der Erstbeklagte hineinfahren wollte, nicht gegeben“ war. Die starke Kurvenkrümmung wird überdies durch die aktenkundigen Lichtbilder belegt. Im Zusammenhalt mit der Feststellung über die Sichteinschränkung des Erstbeklagten „aufgrund der Kurve“ liegen somit ausreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die von links einmündende Parkplatz-Einfahrt für den sich auf der linken Fahrbahnhälfte annähernden Kläger schwer und erst spät erkennbar war.
Unter diesen örtlichen Gegebenheiten war der Erstbeklagte iSd erörterten Rsp unmittelbar vor dem Beginn seines Abbiegemanövers zu einer nochmaligen Beobachtung des Nachfolgeverkehrs verpflichtet. Dass es dazu wegen der Kurvenkrümmung eines Blicks über die Schulter bedurft hätte, musste ihm schon nach seinem ersten Kontrollblick (im Bereich der Baustelle) bewusst gewesen sein. Den ihm obliegenden Entlastungsbeweis hat der Erstbeklagte nicht erbracht. Es ist ihm daher als Verschulden anzulasten, dass er seiner Verpflichtung zur nochmaligen Beobachtung des Nachfolgeverkehrs nicht ausreichend entsprochen hat.
Bei der Verschuldensabwägung ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der erwähnten Negativfeststellung auch dem Kläger das an sich stets schwerwiegende Übersehen eines Blinkers nicht vorgeworfen werden kann. Im Übrigen hat der Kläger, der schon in erster Instanz ein Mitverschulden zugestand, den gegen ihn gerichteten Schuldvorwurf eines unzulässigen Überholmanövers nicht in Frage gestellt. Dieses Fehlverhalten wiegt unter den konkreten Umständen nicht schwerer als jenes des Erstbeklagten. Es ist daher von gleichteiligem Verschulden auszugehen.